Hier nun zu klagen und mein Herz auszuschütten, hat wohl weniger etwas mit sachlichem Austausch rund um die Inkontinenzversorgung zu tun.
Vielleicht aber mit einem Thema, das viele andere Betroffene kennen, sich dann alles von der Seele reden müssen, um die Kraft zu haben, am Ball bleiben zu können.
Die Geschichte um uns, fängt nicht jetzt erst, mit Schwiegervaters erhöhtem Bedarf an Unterstützung an, sondern bereits vor einigen Jahren, als meine Schwiegermutter noch lebte.
Meine Schwiegereltern führten eine sehr glückliche und liebevolle Ehe, waren immer füreinander da und hätten sich nie gegenseitig ausgeschlossen.
Als Schwiegermutter körperlich immer weniger machen konnte und zudem, wenn sie nicht genug Flüssigkeit zu sich nahm, auch recht vergesslich wurde, kümmerte sich Schwiegervater aufopferungsvoll um sie, obwohl beide bereits über 80 Jahre alt waren.
Er wusch sie, begleitete sie zur Toilette, kochte, putzte, räumte auf, zog sie an und aus und gab ihr die Medikamente, die meine Schwägerin - angeblich nach dem Medikamentenplan des Arztes – im Voraus stellte.
Er hielt sich genau an ihre Anweisungen, denn er selbst konnte da schon nicht mehr gut sehen und vertraute einfach, dass es richtig sei, mittags und abends die Tabletten zu verabreichen.
Tatsächlich, wie wir später herausfanden, waren die gesamten Medikamente auf 5 Einzeldosen, beginnend am Morgen, dann Mittag, Nachmittag, Abend und Nacht verteilt.
Mit Grund, denn einige sollten untereinander nur in zeitlichen Abständen genommen werden.
Meine Schwägerin kam mit einem Duschstuhl an, damit sie Mutter nun jede Woche duschen könnte.
Wir selbst hatten zu dem Zeitpunkt einen Schicksalsschlag mit unserem jüngsten Sohn und waren kaum zu Hause, sondern fast ausschließlich in der weit entfernten Klinik, so dass wir also das gesamte Drama erst Monate später sahen.
Da fiel uns nämlich auf, dass der Duschstuhl noch immer original verpackt und ungenutzt, schon fast ein Dreivierteljahr in der Dusche stand.
Schwiegervater wusch seine Frau am Waschbecken, was wir, angesichts der Tatsache, dass beide körperlich auch nicht mehr so viel Kraft hatten, unverantwortlich fanden, denn wäre Schwiegermutter beispielsweise umgefallen, hätte Schwiegervater sie nicht halten können und sie hätten sich wahrscheinlich beide verletzt.
Unserer Meinung nach, sollte ein ambulanter Pflegedienst zumindest die Morgenhygiene und das Anziehen von Schwiegermutter übernehmen, damit Schwiegereltern entlastet wären.
Meine Schwägerin wehrte sich gegen den Gedanken, sie würde sich um ihre Mutter kümmern, jedoch auch nach dem Gespräch änderte sich nichts.
Sie kam lediglich am späten Vormittag, ließ sich von ihrem Vater das Frühstück zubereiten, aß, ließ Geschirr und alles stehen, um dann, direkt nachdem sie ihrer Mutter die Tabletten für morgens, mittags und nachmittags auf einmal gab, wieder zu gehen.
Wachsam geworden, fiel uns immer mehr auf.
Z.B. dass es seit fast 2 Jahren keine Kontoauszüge von Schwiegermutters Konto gab, obwohl Schwiegervater seine Tochter, mit der er zur Bank fuhr bat, die Auszüge in einen bestimmten Schrank zu legen.
Nur die vom Vater waren dort.
Über Jahrzehnte hatten meine Schwiegereltern ein Postfach und meine Schwägerin holte 1-2 x die Woche die Post dort ab, um sie den Eltern zu bringen.
Wie wir herausfanden, konnten wir keine Pflegestufe für Schwiegermutter beantragen, weil sie seit knapp 2 Jahren bereits eine hatte. Details dürfte man uns nicht nennen und so sprachen wir die Schwiegereltern darauf an.
Meine Schwiegermutter schüttelte entsetzt den Kopf, sie erhielte kein Pflegegeld, davon müsste sie wissen.
Schwiegervater, mit seiner oft poltrigen Art, wurde sogar richtig laut, was wir denn für einen Blödsinn erzählten, überhaupt, dann hätten sie ja von der Pflegekasse auch Post kriegen müssen.
Tatsächlich hatte es immer wieder Post gegeben, nur kam die nicht bei den Schwiegereltern an, sondern landete bei meiner Schwägerin.
Trotzdem war uns nicht ganz nachvollziehbar, dass Schwiegereltern nicht wenigstens beim Gespräch mit dem MDK hellhörig wurden.
Doch auch da hatten sie eine Erklärung.
Der war nämlich ausgerechnet terminlich mit meiner Schwägerin und Schwiegermutter „verabredet“, als mein Schwiegervater seine tägliche Spazierrunde machte. Jeden Tag zur gleichen Zeit.
Ein Zufall?
Überhaupt, so Schwiegermutter wäre der auch nur da gewesen, weil es um Bewilligung von einem Toilettenstuhl gegangen sei, damit Schwiegermutter nicht mehr nachts durch die ganze Wohnung tapsen müsste.
Meine Schwägerin habe ihr noch aufgetragen, nicht selbst zu antworten, wenn sie nicht müsste, sondern nur zu nicken, sonst würde der Toilettenstuhl nicht bewilligt.
Dachten wir da schon, in einem sehr schlechten Film zu sein, wurden wir eines Besseren belehrt.
Beim Versuch, das Pflegegeld in zumindest Teilsachleistung umzuwandeln, damit ein Pflegedienst hinzu gezogen werden konnte, erfuhren wir, dass der Pflegekasse eine mehrseitige Generalvollmacht vorlag, anhand der die „Betreuende“ jegliche Auskünfte, auch an den Ehemann, untersagt.
Wir mussten mit Schwiegermutter, einem geliehenen Rollstuhl und einem aufgebrachten Schwiegervater zur Krankenkasse, damit Schwiegermutter persönlich eine Kopie der Vollmacht beantragen konnte und auch bekam.
Natürlich stand dort meine Schwägerin als Bevollmächtigte in allen Bereichen drin.
Und, obwohl es Schwiegermutters Unterschrift auf der letzten Seite war, war sie sich ganz sicher, ihr nie eine derartige Vollmacht erteilt zu haben.
Sie habe vor gut 2 Jahren lediglich noch einmal ein Blatt wie diese letzte Seite unterschrieben, das für den Hausarzt war und in dem Schwiegermutter das „Hausarztprinzip“ wünschte. Zumindest hatte meine Schwägerin es ihr so gesagt, das Blatt vorgelegt, ihr einen Stift in die Hand gedrückt und sie ohne Brille unterschreiben lassen.
Zeitlich jedoch musste das Dokument rückdatiert worden sein, denn das Datum stimmte nicht mit der Wohnadresse zu dem damaligen Zeitpunkt überein. Zu der Adresse zogen sie erst ca. 5 Monate nach der angeblichen Unterschrift.
Es war unfassbar!
Meine Schwiegereltern wollte füreinander in Vollmacht stehen, selbst über das Pflegegeld entscheiden, von dem sie, nachdem wir gemeinsam auch bei der Bank waren und Auszüge für die vergangenen 2 Jahre in Kopie erhielten, daher dann auch wussten, dass jeden Monat 225,-€ Pflegegeld eingegangen, am selben Tag von meiner Schwägerin abgeholt worden waren, die am Folgetag noch einmal Kontoauszüge zog, so dass, wenn Schwiegervater am 3. des Monats mit ihr zur Bank fuhr, er keinen Anhaltspunkt über das Pflegegeld fand, es sei denn, er hätte die Summe der Eingänge nachgerechnet.
Die Elten meines Mannes waren fassungslos und wollten dem furchtbaren Treiben ein Ende setzen.
Zuerst vereinbarten sie einen Termin beim Notar, um neue und gerichtlich eingetragene Vollmachten aufzusetzen, in denen sie sich gegenseitig als Bevollmächtigte einsetzten.
Ersatzbevollmächtigter wurde mein Mann, der es eigentlich nicht sein wollte, jedoch war eine weitere Schwester nicht bereit, dies zu übernehmen, eine andere Schwester hatte seit Jahren keinen Kontakt mehr und somit blieben nur noch mein Mann und die Schwägerin, die überall tönte, wie aufopferungsvoll sie ihre Mutter pflegte, dabei jedoch alles auf den Vater abwälzte und nur das Geld einstrich.
Bis die notariellen Vollmachten da waren, gab es einige Wochen noch richtige Kämpfe, um für Schwiegermutter alles regeln zu können, ohne an der „Vollmacht“ der Schwägerin zu scheitern.
Es lief teilweise sogar darauf hinaus, dass man – solange keine notarielle Vollmacht vorlag – stellenweise sogar ein Gutachten forderte, das beweist, dass meine Schwiegermutter geistig überhaupt in der Lage sei, die Vollmacht der Schwägerin für nichtig zu erklären, schließlich wüsste man von der Tochter, dass die Mutter geistig völlig verwirrt wäre.
Sorry, aber: Blödsinn, verwirrt war meine Schwiegermutter höchstens nur, wenn sie ihre Medikamente durcheinander verabreicht bekam.
Nach Wochen war es dann endlich soweit, die notariellen Vollmachten waren da, wir fuhren mit Schwiegereltern von einer Stelle zur anderen, damit Schwiegermutter ihrer Tochter Kontovollmachten entziehen, den Zugriff aufs Postfach verweigern konnte, das gleichzeitig auch gekündigt wurde, der KK und Pflegegeldkasse untersagte, meiner Schwägerin noch Auskunft zu erteilen und letztendlich war alles auch geregelt.
Mit einer höheren Einstufung der Pflegestufe, wurde ein ambulanter Pflegedienst hinzu gezogen und Schwiegereltern bekamen endlich regelmäßige und fachlich kompetente Unterstützung, die ihnen in wichtigen Eckpunkten eine Selbstständigkeit erhielt und den Alltag entspannter werden ließ.
Leider hatte aber auch die diffuse Gabe der Medikamente den Körper von Schwiegermutter zusehends geschwächt und sie starb fast genau 2 Jahre, nachdem sie und Schwiegervater ihre „Freiheit“ und Selbstbestimmung zurück erhalten hatten, an den Folgen eines Schlaganfalls.
(Teil 2 folgt)