Die Sache mit dem Hund
Bereits seit vier Stunden kämpften sich die beiden Gebirgsjäger den Hochwanner hinauf, bei eisigem Wind, aber gottlob keinem Scheefall.
Und immer in der Hoffnung, die kleine Chessna zu finden, welche seit 24 Stunden überfällig war und hier in dieser Gegend entweder notgelandet oder abgestürzt sein musste.
Als sie ein Hochplateau neben der stark abfallenden Nordwand erreichten, sahen sie tatsächlich in der Ferne das vermisste Fluggerät.
Mit neuer Kraft eilten sie zu dem etwa 800 m entfernten Flugzeug.
Kurz vor dem Wrack hob Hautfeldwebel Wallner den Arm, um seinen Begleiter, den Obergefreiten Strobel, zu stoppen.
“Halt, Toni, hier ist etwas nicht in Ordnung.”
Jetzt sah es Strobel auch. Vor dem zerschmetterten Cockpit waren etliche Fußspuren zu erkennen, sowohl menschliche Stiefelabdrücke als auch Hundespuren.
“Ich fotografiere erst einmal alles hier um das Wrack und schicke die Fotos dann sofort nach Mittenwald,” sagte Strobel, zog den IPod aus der Armeejacke und machte die Aufnahmen.
Dann näherten sich beide dem Cockpit.
Wallner musste einen Brechreiz unterdrücken.
Das Flugzeug war nicht einmal sonderlich beschädigt, aber der Propeller war abgerissen und ein Trümmerstück ins Cockpit eingeschlagen und hatte die drei Insassen getötet.
Nur mit Widerwillen durchsuchten die beiden Soldaten die drei Leichen, fanden aber weder Brieftaschen noch Papiere, nicht einmal eine Armbanduhr.
“ Hier war ein Leichenfledderer am Werk,” meinte Wallner, “und ich glaube auch, diesen zu kennen.”
“Wie, wer ?” fragte Strobel.
“Na, Du hast doch sicher vom Leitner Franz gehört, der hier in der Gegend sein Unwesen treibt. Dieser Berg ist ja geradezu prädestiniert für Schmuggel und Wilderei. Und den Leitner Franz haben wir schon lange in Verdacht, konnten ihm aber nie etwas nachweisen. Ein ganz ausgebuffter Junge.”
“Ja gut, aber wie kommst Du darauf, dass der es war ?”
“Du hast die Hundespuren gesehen. Den Tatzeneindrücken nach ein recht großer Hund. Hier ins Hochgebirge bekommst Du aber kaum einen Schäferhund, es sei denn, er ist dafür ausgebildet. Der Leitner Franz aber hat einen großen Husky, für einen solchen Hund ist es hier geradezu ideal.
Und Leitner liebt dieses Vieh, die beiden sind immer zusammen, fast wie ein altes Ehepaar.
Ich nehme an, dass Leitner auf seiner Schmuggeltour hier vorbeigekommen ist und die armen Schweine dort im Flugzeug ausgeraubt hat. Vielleicht hat er ja sogar den Absturz beobachtet und ist extra hier hoch.
Lass uns mal einen größeren Bogen um den Flieger machen, vielleicht finden wir eine Spur, es hat ja seit 15 Stunden nicht mehr geschneit.”
Und tatsächlich fanden die beiden eine Spur, Skispur und Hund, Richtung Osten, hin zur Oberreintalschrofen
Es kam ein leichtes Wetter auf und begann sanft zu schneien.
“Jetzt müssen wir uns beeilen, sonst ist die Spur weg,” meinte Strobel.
Sie klinkten sich in die Ski ein und verfolgten mit langen Schwüngen die immer blasser werdende Spur.
“Au, au, au,” meinte Wallner, “wenn wir ihn nicht bald sehen, dann ist er weg.”
Zwei Kilometer weiter war die Spur nicht mehr zu erkennen, da es anfing, immer stärker zu schneien.
“Hat keinen Zweck, den finden wir nicht mehr”, sagte Wallner.
“Moment,” meinte Strobel, “ich habe eine Idee.”
Er holte den IPod hervor, öffnete Google Map und bestimmte seinen Standort, ging dann auf “Satellit”, fuhr bis auf 100 m Höhe herunter und untersuchte das abfallende Plateau.
“Dort, siehst Du, der kleine schwarze Punkt vor dem Riss. Sieht aus wie eine Hütte.”
Er stellte den Punkt genau mittig und fuhr nochmals 50 m tiefer, bis es nicht mehr ging.
Eindeutig war eine kleine Hütte zu erkennen.
Strober sicherte die Koordinaten.
“Ja,” meinte Wallner, “ich erinnere mich. Diese Hütte gehört irgendso einem reichen Stenz aus Bremen, der hier im Sommer für einige Wochen auf Eremiten macht. Los, hin, vielleicht bekommen wir das Schwein ja diesmal.”
So einfach war es nicht, denn der Schneefall wurde immer dichter. Sie mussten über die Koordinaten auf die Hilfe des GPS zurückgreifen.
Kurz vor der Hütte erschraken beide, als sich plötzlich ein Schneehaufen bewegte, sich daraus ein großer Husky erhob und sie aus seinen blauen Augen freundlich anblickte.
Strobel band ihm ein Seil an das Halsband und zurrte dieses an der Bank vor der Hütte fest.
Vorsichtig blickten sie durch ein Fenster in das Hütteninnere.
Tatsächlich lag dort ein mächtig großer Mann auf dem Ledersofa und schlief.
“Das ist der Leitner Franz,” flüsterte Wallner, “wir müssen schnell sein, der Kerl ist stark.”
Die Tür liess sich leicht öffnen und ohne zu zögern warfen sie sich auf den Liegenden.
Schlaftrunken wollte sich Leitner aufbäumen, aber gegen die beiden durchtrainierten Soldaten hatte er dann doch keine Chance.
An Händen und Füßen gefesselt wurde er an den Tisch gesetzt und Wallner begann mit dem Verhör.
Die erste Frage von Leitner war : “Was ist mit meinem Hund ?”
“Den haben wir draussen an der Bank festgebunden.”
“Lasst das Tier in Ruhe, der Hund hat euch nichts getan.”
Inzwischen durchsuchte Strobel die Hütte nach der Diebesbeute, wurde aber nicht fündig, obwohl er alles öffnete, umdrehte, beleuchtete.
“Die Sachen sind hier drinnen nicht versteckt, Walli, er muss die draussen irgendwo verbuddelt haben.”
“Was ist mit meinem Hund ?” fragte der Leitner Franz zum wiederholten Male.
“Nur die Ruhe,” erwiderte Wallner, “was interessiert mich Dein Köter ? Viel interessanter ist die Frage, wo Du das Zeug versteckt hast.”
“Welches Zeug ?”
“Na, das Du den drei armen Schweinen in der Chessna oben auf dem Plateau geklaut hast. Sag mal, ist Dir denn gar nichts heilig ?”
“Wie, wo, was ? Welche Chessna und welchen armen Schweinen ?”
Unsicher schaute Leitner aus dem Fenster und vermied jeden Augenkontakt.
“Halt mich nicht zum Narren, Du Dreckschwein, wir haben Deine Spur und die Deines Köters bis hierhin verfolgt. Also rück endlich mit der Wahrheit raus.”
Leitner bestritt jedes Wissen, aber man konnte ihm das schlechte Gewissen ansehen.
So ging es eine Zeitlang hin und her, Wallner fragte, Leitner bestritt.
Plötzlich erhob sich Strobel, nahm seine Koppel ab, sagte : “Wenn Du nicht reden willst, dann redet vielleicht Dein Hund,” und ging raus.
Keine fünf Sekunden hörten die beiden in der Hütte das Klatschen der Koppel und das Jaulen des Hundes.
“Was macht dieser Bescheuerte da ?” sagte Leitner, “der wird sich doch wohl nicht an einem wehrlosen Tier vergreifen.”
“Interessiert mich nicht,” meinte Wallner, “erzähl mir lieber, was da oben passiert ist.”
Das Klatschen wurde heftiger und das Jaulen immer lauter und lauter.
“Sag dem dämlichen Penner, er soll aufhören, den Hund zu schlagen,” schrie Leitner.
Er sprang auf, um aus dem Fenster zu schauen, wurde durch die Fußfesseln gehindert und fiel um.
Wallner hob ihn hoch und setzte ihn wieder auf den Stuhl.
“Erst wenn ich von Dir eine Aussage bekomme,” brummte Wallner, dem das Gejaule auch mittlerweile auf den Senkel ging.
Inzwischen tobte draussen der Hund, das Jaulen ging bereits in ein Wimmern über, nur unterbrochen vom Klatschen der Koppel.
“Um Gottes Willen, der schlägt ja meinen Hund tot,” brüllte Leitner, “ja, ja, ich gestehe, aber sieh zu, dass Du dieses Sauerei beendest,” und gab sowohl die Leichenfledderei als auch noch andere Untaten zu.
Wallner notierte das Geständnis, liess Leitner unterschreiben und rannte raus, um Strobel an der weiteren Misshandlung des Huskys zu hindern.
Als er die Tür öffnete, sah er den Husky etwa fünf Meter von der Bank entfernt im Schnee sitzen und interessiert auf Strobel schauen, welcher mit der Koppel auf die Holzbank schlug, den Kopf erhoben hatte und heulte und heulte..... na, wie eben ein Hund heult, wenn er geschlagen wird.
Bevor die Frage auftaucht, woher ich diese Geschichte habe :
In meiner frühen Jugend, so vor sechzig Jahren, gab es mal eine Heftchenreihe “Spannende Geschichten”.
Kostete damals 30 Pfennig oder so, was schon mächtig teuer war, hi, hi....
Dort hatte ich eine ähnliche Geschichte gelesen und sie war mir im Gedächtnis geblieben.
Der Titel war eben : “Die Sache mit dem Hund”.
Bei der Suche im Internet konnte ich die Heftreihe finden, (
www.detlef-heinsohn.de/hefte-abenteuer-spannende.htm
), diese Geschichte aber nicht
Also habe ich sie gestern abend aus dem Gedächtnis nachgeschrieben.
( Wollte ich eigentlich irgendwie immer schon, bin aber nie dazu gekommen )
Das Original allerdings spielte sich in den Rocky Mountains ab, irgendwo in Kanada.
Und natürlich ohne IPod und GPS.
Ich denke, diese Kurzgeschichte ist es wert, mal wieder veröffentlicht zu werden.....