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Was sich zum 01.01.2009 für ALLE ! ändert

19 Jul 2008 12:23 - 19 Jul 2008 13:03 #1 von matti
Neuregelung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes


Was von der Politik zur Stärkung des Wettbewerbs gedacht, erweist sich schon jetzt in der Praxis für viele Betroffene als echte Problematik. Bereits am 1. April 2007 ist das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (kurz: GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz oder GKV-WSG) in Kraft getreten. Bis Ende 2008 gilt eine Übergangsfrist, in der die Hilfsmittelversorgung noch weitgehend wie bisher erfolgen kann. Über 20 gesetzliche Krankenkassen haben jedoch bereits Ausschreibungen durchgeführt oder initiiert. Zahlreiche neue Verträge wurden abgeschlossen. Infolgedessen gelten bereits jetzt für mehrere zehntausend gesetzlich Krankenversicherte im Bedarfsfall erhebliche Einschränkungen bei der Hilfsmittelversorgung. Dies betrifft bislang vor allem die Versorgung von Inkontinenzpatienten, die Anti-Dekubitusversorgung, orthopädische Hilfsmittel und den Bereich der TENS Schmerztherapie. Patienten und pflegende Angehörige beklagen vor allem die schlechtere Qualität der Versorgung und die mangelnde Beratung durch manche ihnen neu zugewiesene Versorgungspartner."

Die Neuerungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes bergen die Gefahr, dass bei der Hilfsmittelversorgung künftig der Preis wichtiger sein wird als die Qualität.

Wettbewerb ist schön und gut – aber nicht, wenn darunter Betroffene leiden. Genau das aber steht zu befürchten, wenn nur noch die Krankenkassen entscheiden, welche Leistungserbringer Betroffene zu nutzen haben.

Bislang konnten Patienten selber entscheiden, welchem Homecare-Unternehmen, welchem Sanitätshaus oder welcher Apotheke sie vertrauen. Aus gutem Grund, denn medizinische Hilfsmittel berühren oft sensible und intime Bereiche des täglichen Lebens und Überlebens der Patienten, bei denen auf individuelle Betreuung, Beratung und Anpassung ankommt. Dies aber spielt bei der Neuregelung des GKV-Wettbewerbungsstärkungsgesetzes nur eine untergeordnete Rolle.
Bisher griffen die Krankenkassen auf zugelassene Lieferanten und Hersteller zurück. , künftig müssen sie die Hilfsmittelversorgung ihrer Versicherten ausschreiben und Verträge schließen. Theoretisch müssen die Leistungserbringer eine „ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung gewährleisten“ – ob das der Fall ist, entscheidet jedoch allein die Kasse.
Somit schränkt die Neuregelung das Recht der Versicherten auf freie Wahl des Leistungserbringers stark ein. Und damit auch die Tatsache, dass von dieser Wahl entscheidend abhängt, ob Hilfsmittel die Lebensqualität des Patienten erhalten oder verbessern – wozu auch eine ortsnahe Versorgung gehört.
Die aber ist gefährdet, wenn nur noch wenige Partner die Leistungen erbringen – die Zukunft kleinerer Sanitätshäuser und Apotheken ist ungewiss, wodurch Versorgungslücken entstehen können – vor allem, wenn schwerkranke Patienten auf Dutzende Hilfsmittel angewiesen sind, die sie bisher aus einer Hand bekamen. Was zur Verstärkung des Wettbewerbs gedacht ist, kann so zum Gegenteil führen: einer Konzentration weniger Anbieter, die den Preiskampf bei Ausschreibungen für sich entscheiden.

Die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. hat sich aus diesem Grund dem Aktionsbündnis <<meine Wahl!>> angeschlossen, welches auf die bereits bestehende aber vor allem befürchtete Problematik hinweisen und Einfluss nehmen will.

Der Geschäftsstelle liegen teilweise haarsträubende Berichte vor. Eines wird aber jetzt schon deutlich: Verbessert hat sich die Versorgungssituation für keinen einzigen der Berichtenden.

So stellt sich für einige Betroffene immer wieder das Problem der Lagerung. Der Ausschreibungsgewinner liefert beispielsweise einen 3-monatsbedarf Windeln.
Qualitätseinbußen mussten fast alle hinnehmen. Unterschiedliche Produkte, beispielsweise eine Tag und Nachtversorgung fallen weg.
Innovative Produkte wie beispielsweise den Speedy Cath von Coloplast gibt es nicht mehr beim Ausschreibungsgewinner.

Unterstützt das Aktionsbündnis »meine Wahl« und unser Engagement für den Erhalt EURES Mitspracherechts, indem ihr uns eure persönlichen Erfahrungen hier im Forum mitteilt.

Weitere Informationen zum Aktionsbündnis:

www.buendnis-meine-wahl.de

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19 Jul 2008 12:47 #2 von matti
STATEMENT
Michael Heil
Rollstuhlfahrer und Reha-Spezialist

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Leiter eines bundesweit bekannten Rehafachhandels, also direkt am Patienten und dies oft intensiver und konkreter als die meisten Ärzte - zumindest hilfsmitteltechnisch. Seit 25 Jahren bin ich selbst betroffen und habe die wichtigsten und entscheidenden Entwicklungen z. . bei der Rollstuhlentwicklung mitgestaltet. Seit 15 Jahren bin ich selbstständig und damit im täglichen Kontrakt und oft auch im Konflikt mit den Krankenkassen und der konkreten Umsetzung der gesundheitspolitischen
Vorgaben.
Die Vorgaben des Gesundheitsministeriums und die Bedeutung des fallenden Kontrahierungszwanges haben wir schon vor 8 Jahren diskutiert und dabei auf Auswirkungen hingewiesen. Leider wurde dies selbst von gut informierten und auch betroffenen Beteiligten der Hilfsmittelbranche als Panikmache abgetan. Aber wer Eingriffe in den Markt wie Verträge und Ausschreibungen, Wegfall von Zulassungen und Onlinebörsen will, muss den Patienten entmündigen, da der damit verbundene
Preisverfall durch Schwund an Leistung nicht anders zu erreichen ist.

Und wer Kosten einsparen will mit Mitteln wie Verträgen und Ausschreibungen, muss den Menschen sagen, dass er kein Geld mehr ausgeben will oder kann für Dienstleistungen und Qualität. Für Entwicklungen und Verbesserungen der technischen
und therapeutischen Möglichkeiten zur Erleichterung und Verbesserung der
gesundheitlichen Entwicklung der Menschen.


Wenn der Kontrahierungszwang fällt, werden Dienstleistungsketten zerstört. D.h. die oft langjährigen Beziehungen zwischen Arzt, Therapeut, Techniker und Versorger werden aufgegeben und für jedes Hilfsmittel ein anderer Lieferant, ein anderer Ansprechpartner, eine immer wieder neue Fehlerquelle, Vertrauensverhältnisse und Liefersysteme initiiert.
Kaum sind diese vor allem bei regelmäßigen Konsultationen einigermaßen wiederhergestellt, fangen sie von neuem an. Dabei entstehen unnötige Kosten durch Neuanamnesen, Erstellung von Umfeldverhältnissen, widersprüchliche Behandlungskonzepte, Fehlversorgungen oder gar Mangelversorgung.

Wie wird eine zukünftige Versorgung ohne Kontrahierungszwang aussehen, wenn schon jetzt Missstände bekannt sind wie zum Beispiel eine Monatspauschale für Windeln von z.B. 18 €. Hier sind die Lieferanten gezwungen, nicht nur die billigsten Produkte einzusetzen, sondern auch völlig neue Entwicklungen anzustoßen. So wurde kürzlich
das Fassungsvermögen einer für den Verbrauch in Altersheimen verwendeten Vorlage auf ein Fassungsvermögen von 5 Litern erhöht. Das spart das tägliche Wechseln und
jetzt reicht es alle 3 Tage.
Dafür wurde aber als Qualitätsmerkmal bei der Ausschreibungsvergabe ein 24 Stunden Hotline Service verlangt. Ganz nebenbei wird dadurch aber auch Pflegepersonal eingespart. Weil das lästige Wechseln ja viel seltener stattfinden kann. Druckstellen durch Feuchtigkeit nimmt man in Kauf. Dafür gibt es dann wieder eine neue Versorgungsquelle, allerdings einen anderen Lieferanten, der dafür
verantwortlich ist.
Bei Stoma werden mittlerweile Monatspauschalen von ehemals über 300 Euro auf nur noch182 Euro angenommen. Hier ist selbst für Nichtkaufleute klar, dass auch nur ein alle 3 Monate erfolgter Besuch z.B. zur Kontaktaufnahme bei Hautproblemen, Unverträglichkeiten, Veränderung des Gesundheitszustandes etc. der Gewinn des gesamten Versorgungszeitraumes dahin ist. Wer rechnen kann, wird also alles tun, das zu vermeiden.
Gerade bei solchen, oft die Intimsphäre betreffenden Hilfsmitteln, erst recht bei Kathetern, Kondomen und Urinalen werden die Patienten dann gezwungen, immer wieder neue Berufsgruppen, Firmen und wechselnden Produkte zu akzeptieren, ohne selbst Einfluss darauf zu nehmen.
Probleme tauchen auch dann auf, wenn ungeeignete Unternehmen die Versorgung übernehmen. So hat ein bisher sogar regional völlig unbekannter Händler bei einer bundesweiten Ausschreibung statt ca. 10 Kunden nun über 10.000 neue Kunden durch einen nicht nachvollziehbaren Dumpingpreis gewonnen. Um der Flut der Bestellungen
Herr zu werden, mussten seit Jahresanfang über 20 neue Mitarbeiter eingestellt werden.
Leider nur im Callcenter. Die Auslieferungsquote beläuft sich bis heute auf ca. 62 %. Es ist zu hoffen, dass die Firma bis zum Jahresende wenigstens die 100 % erreicht und
letztlich die Beschwerden zu keinem weiteren Versorgungsauftrag führen.

Aber da der Patient ja keine Wahl hat, wird im nächsten Jahr der Unsinn von vorne mit einem neuen Dienstleister anfangen. Dieser Fall zeigt auf, dass die Kassen überfordert sind, kaufmännische und logistische Notwendigkeiten zu erkennen, um ungeeignete Versorger von vornherein auszuschließen. Und er zeigt, wie wichtig es ist, Richtlinien für die Qualifizierung von Leistungserbringern und verbindliche Personalschlüssel für die Betreuung der Betroffenen festzulegen.
Wenn schon die Basisfaktoren wie betriebswirtschaftlich sinnvolle Verträge nicht funktionieren, wie soll das dann bei therapeutisch beeinflussten Versorgungen wie Rollstühlen, Sitzschalen, ISK-Versorgungen usw. erst aussehen. Hier ist der persönliche
Kontakt zum Dienstleister entscheidend für den Erfolg der Versorgung. Vermeidung von Risiken wie Infekten, die Erhaltung der Mobilität und die Wiedererlangung von Fähigkeiten zur Aufnahme schulischer oder beruflicher Aktivitäten hängen davon ab, vor allem wie und erst in zweiter Linie, was versorgt wird. Aber das WIE wird bislang in
kaum einer Ausschreibung oder in Verträgen festgelegt. Wer aber betreut schon einen Patienten mit Pauschalen, ohne vorher zu wissen, was der eigentlich braucht?

Machen wir uns nichts vor: Mit Pauschalen verdient der Versorger nur, wenn er unter dem Versorgungsminimum abgibt. Da also der Preis nicht mal die Kosten für die Minimalversorgung deckt, muss er andere, billigere Ware abgeben. Oder den Versorgungsrhythmus verlängern (siehe 5 Liter Windel). Oder er lässt in China, Indien oder Vietnam weiße Ware produzieren. Sein Personal und auch das der Wettbewerber
werden nicht mehr zu Fortbildungsseminaren geschickt. Da aber oft keine Ausbildung im Gesundheitsfach vorhanden ist, werden eben nur Fahrer und Studenten zu den Patienten geschickt. Wenn überhaupt. Die Vorhaltung von Testrollstühlen und anderen zu versorgenden Hilfsmitteln wird eingeschränkt oder eingestellt. Damit entfallen
natürlich auch Beratungsgespräche und Fahrtkosten. Spezialisierte Berater
verschwinden und die Auswahl der Hilfsmittel beschränkt sich auf die Artikel, die mit dem abgegebenen Vertrag machbar sind. Hersteller verschlanken daraufhin ihr Produktportfolio, weil Kosten gespart werden müssen und nicht mehr so viele Varianten für die individuelle Versorgung abgefragt werden. Durch die Standardisierung werden
die Produktionskosten im Ausland interessanter als im Inland. Rollstühle werden wieder blaue, verchromte Chopper, die keiner mehr selbst bedienen kann. Die Fähigkeit zur Mobilität geht verloren und die Patienten in einer sich auf Kleinstfamilien und Einzelhaushalte hin entwickelndem Bevölkerungsstruktur werden sich selbst überlassen.
Damit wird der Verlust der Wahlfreiheit zur Falle für alle, die ihr Schicksal, die Möglichkeit zur Selbsthilfe noch beeinflussen können und wollen.

Michael Heil

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