Kategorie: Forum: Harnblase
Lieber Jens!
Ich wünsche einen schönen guten Morgen! Nachdem ich erst morgen auf Reisen gehe und ich Deinen Beitrag gelesen habe, nehme ich mir jetzt doch Zeit, Dir bestmöglich zu antworten.
Obwohl ich Dein Problem ja nicht unbedingt als rein männliches Problem sehe, bei dem ich Dir als Mann besonders gute Tipps geben kann, aber trotzdem danke einmal an unsere Frauen, dass sie Dich hier gleich so herzlich begrüßt haben. Ich fürchte, ich habe mehr Fragen als Antworten.
Der Reihe nach. Erst einmal danke für Deine Vorstellung und sehr verständliche Beschreibung Deiner Situation. Es tut mir sehr leid, dass die richtige Diagnose erst im Alter von 28 Jahren gestellt werden konnte und Du nun mit den Folgen einer lange andauerenden Harnabflussbehinderung konfrontiert bist. Aber nach meiner Einschätzung hast Du gute Aussichten, Deine Situation deutlich zu verbessern. Für mich klingt Deine Beschreibung noch nach einer ärztlich-diagnostischen Unsicherheit, aber wohl deswegen ist nochmals Blasenspiegelung vorgesehen. Nach meiner Einschätzung sollte auch eine urologische Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel gemacht werden, diese gibt die genaueste Darstellung von Abflussbehinderungen. Ich selbst hatte so eine Untersuchung auf der Neurourologischen Universitätsklinik Innsbruck, die nicht nur eine sehr gute technische Ausstattung hat, sondern auch die notwendige Fachexpertise bis hin zu neurologischen Fragestellungen.
Auch dies würde ich untersuchen lassen, ob nicht eine neurologische Störung vorliegt.
So weit ich es bei Dir verstanden habe, lag durch eine Fehlbildung 28 Jahre lang eine Abflusstörung vor, die zu einer verstärkten Blase führte. Handelt es sich um die Diagnose "Balkenblase"? Dies sieht man üblicheweise bei Männern, die durch Prostatavergrösserung die Abflussstörung über mehrere Jahre haben. Nach Beseitigung der Ursache muss sich die Blase erst auf die veränderten Gegebenheiten einstellen. in dieser Situation kann es auch zur sogenannten "instabilen Blase" mit Inkontinenz führen, da die Blase die volle Kraft gibt, aber die Abflussbehinderung ja nicht mehr da ist.
Bei Dir scheint es anders zu sein. Du beschreibst ja noch eine Ablussbehinderung, obwohl sich die Harnröhre als weit genug ohne Hindernis darstellt, soweit ich das richtig verstanden habe. Du schreibst, dass das Problem ein verengter Blasenhals ist.
Enstehen die Schmerzen bei den Untersuchungen wirklich durch diesen verengten Blasenhals? Wie weit spielen psychische Faktoren mit? Ich habe auch die Diagnose verengter Blasenhals mit Restharnbildung nach einer komplett atonen Blase im Zuge einer Neuroborreliose. Ich habe die vorgeschlagene Blasenhalsinzision ebenfalls abgelehnt, aber dazu später.
Zur Zeit, als ich meine Blase gar nicht entleeren konnte, hatte ich einen suprapubischen Katheter (SPK), das war eine Notwendigkeit durch den kompletten Harnverhalt als bessere Alternative zum transurethralen Katheter. Aber auch der SPK bereitete bald Probleme mit nichtbakterieller Entzündung und Schmerzen in der Blase. Ich bin dann auf ISK umgestellt worden und das geht bis heute sehr, sehr gut.
Aus dieser Erfahrung heraus, und beim Befund einer normalen Harnröhre, empfehle ich Dir ISK. Eventuell ist zur Überbrückung und akuten Entlastung der SPK gut, denn mit einem offenen SPK (bei dem der Harn unentwegt in ein Säckchen läuft) kann die Blase maximal entlastet werden. Das wird auch, so meine ich es mal gelesen zu haben, in urologischen Richtlinien so empfohlen, für eine bestimmte Dauer, die mir jetzt nicht bekannt ist. Das ist jedenfalls keine Dauerlösung und nach einer, vom Arzt empfohlenen Zeit musst Du sowieso auf ISK umstellen, wenn Du noch Restharn hast.
Das Funktionieren von ISK ist eine Frage der Entspannung, so wie das Öffnen des Blasenhalses eine Frage der Entspannung ist. Das musst Du lernen. Ich betrachte Beckenbodentraining als kontraproduktiv, da Du dabei den Beckenboden ja noch mehr anspannst. Das sagten unisono meine urologisch ausgebildete TCM Ärztin, als auch meine Physiotherapeutin. Ich mache seit einem Jahr zur Entspannung meines Beckenbodens und des Blasenhalses TCM mit Akupunktur und Kraniosakraltherapie mit meiner Physiotherapeutin. Dazwischen machte ich ives (intravesikale Elektrostimulation). Alles zusammen hat sehr geholfen, mein Restharnvolumen ist morgens auf 100 ml runter und abends ist es schelchter bei 200 ml, wenn ich Stress habe bis 300 ml. Es ist eindeutig auch von der Psyche abhängig! Das Restharnvolumen bei mir ist insgesamt noch zu viel und ich kathetere regelmässig, 2-3 mal selbst aus.
ives wurde mir auch von der Neurourologie Innsbruck im Abstand von einem halben Jahr nach Harnverhalt empfohlen, nachdem Du aber etwa 20 Tage lang täglich einen speziellen Katheter durch die Harnröhre einführen musst, um die Elektroimpulse in der Blase abzugeben, ist das für Dich momentan sicher keine Option. Es gibt aber auch Elektrostimulation von aussen, und einige Forenmitglieder haben auch schon gute Erfahrungen damit. Sprich jedenfalls mit Deinem Arzt darüber!
Zum Schluss noch zur Blasenhalsinzision. Deine Vorbehalte sind nach meiner Ansicht richtig. Laut meiner Urologen besteht hohes Risiko von retrograder Ejakulation und damit Zeigungsunfähigkeit. Auch wenn die Urologen behaupten, ansonsten bestünde auf das Sexualleben kein Einfluss, Berichte Betroffener klingen anders! Ich würde an Deiner Stelle davon momentan absehen und alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen. Zu schnell und zu gerne greifen so manche Urologen zum Messer!
So, nachdem ich Dich nun niedergeredet habe und ich hoffe, dass Du mir folgen konntest, hier nochmals meine Zusammenfassung:
- genaue Abklärung der Abflussbehinderung und Blasensituation (eventuell mit Kontrastmittelröntgen und neurologischer Abklärung)
- dauerhafte Entspannung der Blase mit SPK als Übergangslösung, nie als Dauerlösung!
- Elektrostimulation (Zeitpunkt und Methode mit Arzt abzuklären)
- Umstellung auf ISK trotz bestehender Ängste und Vorbehalte
- Entspannungsübungen statt Beckenbodentraining (Atemtechnik, Kraniosakral, TCM mit Akupunktur oder Hypnose)
Fest steht, dass Du mit 400 ml Restharn einen Handlungsbedarf hast, nicht nur wegen der dadurch entstehenden Dranginkontinenz, sondern wegen dauerhafter Schädigung der Nieren.
Für mich steht aber auch fest, dass Du gute Aussichten hast, ohne besondere Einschränkungen ein ganz normales Leben führen zu können.
Ich wünsche Dir alles Gute und freue mich, wieder von Dir zu hören!
Johannes