In Deutschland sind Krankenversicherungen ein zentraler Bestandteil des Gesundheitssystems und maßgeblich für die Versorgung der Versicherten verantwortlich. Dies gilt auch für die Bereitstellung von Inkontinenzhilfsmitteln, die für viele Menschen eine essentielle Hilfe im Alltag darstellen. In diesem Artikel werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Verantwortlichkeiten der Krankenversicherungen und der Leistungserbringer in diesem Bereich detailliert beschrieben.
Die rechtliche Rolle von Krankenversicherungen bei der Bereitstellung von Inkontinenzhilfsmitteln in Deutschland
Wir möchten Sie nicht mit einer Vielzahl von Paragraphen überladen, dennoch ist es entscheidend, dass Sie umfassend informiert sind und im Bedarfsfall die relevanten gesetzlichen Vorschriften und Regeln kennen.
Gesetzliche Grundlagen
Sozialgesetzbuch (SGB) V
Das SGB V bildet das fundamentale Regelwerk für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland. Es definiert die Rechte und Pflichten der Versicherten und der Krankenkassen.
In den §§ 27-43 SGB V wird der Umfang der Leistungspflicht der Krankenkassen festgelegt. Die Versorgung mit Hilfsmitteln, einschließlich der Erstattung von Inkontinenzhilfen, wird dabei konkret in § 33 SGB V geregelt.
Hilfsmittelverzeichnis
Das Hilfsmittelverzeichnis wird vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen geführt und enthält alle von den Krankenkassen erstattungsfähigen Hilfsmittel. Hierzu gehören auch Inkontinenzhilfsmittel, die unter der Produktgruppe 15 gelistet sind. Dieses Verzeichnis stellt eine maßgebliche Orientierungshilfe für Ärzte, Apotheker und andere Leistungserbringer dar, um sicherzustellen, dass verordnete Produkte, die von den Krankenkassen übernommen werden können, effizient ausgewählt werden.
Die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. hat mehrfach als Mandatsträgerin an der Überarbeitung und Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses teilgenommen. Dabei spielt der Verein eine wichtige Rolle bei der Wahrung der Rechte und der Interessenvertretung der Betroffenen. In einzelnen Fällen gibt die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. auch Stellungnahmen zu den Anforderungen von bestimmten Produkten ab. Durch diese aktive Mitwirkung stellt der Verein sicher, dass die Bedürfnisse und Anforderungen der Betroffenen im Verzeichnis angemessen berücksichtigt werden. Dies trägt dazu bei, dass das Verzeichnis nicht nur aktuell, sondern auch praxisnah und nutzerorientiert gestaltet wird.
Aktuell: Fortschreibung der Produktgruppe 15 "Inkontinenzhilfen" des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V
vom 30.01.2025
GKV Hilfsmittelverzeichnis der Produktgruppe 15
Heil- und Hilfsmittel-Richtlinie
Die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinie (HHMR) wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) herausgegeben. Diese Richtlinie regelt, unter welchen Voraussetzungen Hilfsmittel von den Krankenkassen erstattet werden. Sie legt die Indikationen, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Hilfsmittel fest, die für eine Erstattung durch die GKV notwendig sind.
Vertragsrechtliche Regelungen
§127 des Sozialgesetzbuch V (SGB V) enthält die vertraglichen Regelungen bezüglich der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln und der Abrechnung der erbrachten Leistungen. Krankenversicherungen schließen individuelle Verträge mit Leistungserbringern wie Sanitätshäusern, Apotheken oder Herstellern ab. Diese Verträge müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen des SGB V sowie die Anforderungen der Hilfsmittelrichtlinien (HHMR) respektieren.
Vorschriften und Richtlinien für die Bereitstellung
Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit
Die Krankenversicherungen sind verpflichtet, die Hilfsmittel nicht nur zu finanzieren, sondern auch sicherzustellen, dass diese wirtschaftlich, ausreichend, zweckmäßig und dem notwendigen Maß entsprechend sind. Diese Kriterien helfen dabei, eine Balance zwischen Kostenkontrolle und optimaler Versorgung der Versicherten zu halten.
Qualitätssicherung
Ein weiteres wichtiges Element ist die Qualitätssicherung der Hilfsmittel. Die Krankenkassen müssen gewährleisten, dass alle bereitgestellten Produkte den hohen Standards des Medizinproduktegesetzes entsprechen. Dies bedeutet, dass die Produkte regelmäßig auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft werden müssen.
Die Qualitätssicherung betrifft auch Produkte, die im GKV-Hilfsmittelverzeichnis der Produktgruppe 15 (Inkontinenzhilfsmittel) gelistet sind. Die Krankenkassen sind verpflichtet, sicherzustellen, dass alle Hilfsmittel, die sie bereitstellen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, einschließlich der Anforderungen des Medizinproduktgesetzes (MPG) in Deutschland. Dies umfasst sowohl die Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit der Produkte. Daher müssen auch Produkte der Produktgruppe 15 regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie den hohen Standards für Medizinprodukte gerecht werden und sicher sowie wirksam für die Patienten (Versicherten) sind.
Beratungspflicht
Zusätzlich zu den rein finanziellen und qualitativen Verpflichtungen haben die Krankenversicherungen eine Beratungspflicht gegenüber ihren Versicherten. Sie müssen diese über die verfügbaren Inkontinenzhilfsmittel umfassend informieren. Das schließt auch die Aufklärung über mögliche Zuzahlungen ein, die unter Umständen von den Versicherten geleistet werden müssen. Grundsätzlich gilt jedoch das Sachleistungsprinzip. Das bedeutet, dass die Krankenkassen verpflichtet sind, ihren Versicherten individuell angepasste Hilfsmittel, die ihrem Bedarf entsprechen, kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
Pflichten des Leistungserbringers bei der Bereitstellung von Inkontinenzhilfsmitteln in Deutschland
Detaillierte Pflichten des Leistungserbringers
Beratung
Eine der grundlegendsten Pflichten der Leistungserbringer ist die umfassende Beratung der Versicherten. Diese Beratung umfasst mehrere Aspekte:
- Bedarfsanalyse: Der Leistungserbringer muss zunächst eine gründliche Analyse der individuellen Bedürfnisse des Versicherten durchführen. Dies beinhaltet die Erhebung von Informationen über das Ausmaß der Inkontinenz, besondere Anforderungen und den Lebensstil des Versicherten.
- Produktberatung: Basierend auf der Bedarfsanalyse muss der Leistungserbringer die verschiedenen verfügbaren Inkontinenzhilfsmittel vorstellen. Dies schließt eine Erklärung der Vor- und Nachteile jedes Produkttyps ein, einschließlich der Materialien, Größen, Saugstufen und spezifischen Funktionen, die für den Versichrten relevant sein könnten.
- Anwendung und Handhabung: Es ist entscheidend, dass der Versicherte genau versteht, wie das ausgewählte Hilfsmittel korrekt angewendet und gepflegt wird. Der Leistungserbringer muss daher eine detaillierte Anleitung zur richtigen Handhabung und Pflege der Produkte geben. Dies kann auch eine Vorführung der Anwendung beinhalten.
- Information zu Zuzahlungen: Der Leistungserbringer muss dem Versicherten über mögliche Zuzahlungen informieren, die von ihm selbst getragen werden müssen. Diese Erklärung muss klar und transparent sein, um Missverständnisse zu vermeiden.
Versorgung und Anpassung
Nach der Beratung ist die nächste Pflicht des Leistungserbringers, sicherzustellen, dass die gelieferten Hilfsmittel korrekt angepasst und für den individuellen Bedarf des Versicherten geeignet sind.
- Individuelle Anpassung: Der Leistungserbringer muss sicherstellen, dass die Inkontinenzhilfsmittel passgenau und komfortabel für den Patienten sind. Bei Bedarf müssen Anpassungen vorgenommen werden, um optimalen Schutz und Komfort zu gewährleisten.
- Produktwechsel: Falls das initial bereitgestellte Hilfsmittel nicht den Bedürfnissen des Patienten entspricht, ist der Leistungserbringer verpflichtet, alternative Produkte vorzuschlagen und bereitzustellen, bis die bestmögliche Lösung gefunden ist.
- Kontinuierliche Anpassung: Die Bedürfnisse eines Patienten können sich im Laufe der Zeit ändern. Der Leistungserbringer muss daher regelmäßig den Zustand und die Zufriedenheit des Patienten überprüfen und gegebenenfalls die Versorgung anpassen.
Belieferung
Eine weitere entscheidende Pflicht des Leistungserbringers liegt in der zuverlässigen und zeitnahen Belieferung der Versicherten mit den notwendigen Hilfsmitteln.
- Pünktlichkeit: Der Leistungserbringer muss sicherstellen, dass die Hilfsmittel in der benötigten Menge und pünktlich geliefert werden. Verzögerungen können erhebliche negative Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten haben.
- Verfügbarkeit: Der Leistungserbringer muss ausreichende Lagerbestände vorhalten, um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Engpässe und Lieferprobleme sollten vermieden werden.
- Diskretion: Viele Versicherte legen großen Wert auf Diskretion bei der Lieferung von Inkontinenzhilfsmitteln. Der Leistungserbringer muss daher sicherstellen, dass die Hilfsmittel diskret und ohne aufdringliche Kennzeichnung (neutrale Verpackung) geliefert werden.
- Notfallversorgung: In dringenden Fällen muss der Leistungserbringer in der Lage sein, schnell zu reagieren und kurzfristig Hilfsmittel bereitstellen zu können.
Qualitätssicherung der Leistungserbringer
Die Qualität der Beratung, Versorgung und Belieferung durch den Leistungserbringer muss ebenfalls hohen Standards entsprechen:
- Schulung des Personals: Der Leistungserbringer hat die Pflicht, sicherzustellen, dass das gesamte Personal ausreichend geschult ist, um eine fachgerechte Beratung und Versorgung sicherzustellen.
- Qualitätskontrollen: Regelmäßige Qualitätskontrollen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass die Inkontinenzhilfsmittel den geltenden medizinischen Standards entsprechen und keine Mängel aufweisen.
- Feedback und Beschwerdemanagement: Ein System zur Aufnahme und Bearbeitung von Feedback und Beschwerden der Versicherten muss eingerichtet sein, um kontinuierlich die Servicequalität zu verbessern.
Die Pflichten der Leistungserbringer bei der Bereitstellung von Inkontinenzhilfsmitteln sind umfassend und erfordern ein hohes Maß an Professionalität und Engagement. Durch eine gründliche Beratung, individuelle Anpassung der Hilfsmittel und eine zuverlässige Belieferung tragen die Leistungserbringer maßgeblich zur Lebensqualität der Versicherten bei. Ihre Zusammenarbeit mit den Krankenversicherungen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und Qualitätsstandards sind entscheidend für eine optimale Versorgung der Betroffenen.
Quellen:
Sozialgesetzbuch (SGB) V, § 33 – Hilfsmittelversorgung, Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Rahmenverträge nach § 127 SGB V, Medizinproduktegesetz (MPG), Qualitätsmanagement und Zertifizierung (z.B., DIN EN ISO 9001), Vereinbarungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbringern, GKV-Hilfsmittelverzeichnis.
Kostenerstattung
Es besteht ein klarer Anspruch auf eine kostenfreie Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln nach § 33 SGB V im Rahmen des Sachleistungsprinzips. Das bedeutet, dass die Krankenkassen verpflichtet sind, ihren Versicherten die notwendigen und zweckmäßigen Hilfsmittel ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung zu stellen. Erst wenn besondere Komfortmerkmale gewünscht werden, die über das medizinisch notwendige Maß hinausgehen, fallen zusätzliche wirtschaftliche Aufzahlungen an.
Das Maß des Notwendigen verbietet ein Übermaß nach Art und Umfang der Leistungen. Es gebietet aber auch das zur Zielerreichung Notwendige einzusetzen.
Aufklärung und Vereinbarung
Vor Zusatzkosten muss der Versicherte umfassend aufgeklärt und eine schriftliche Vereinbarung getroffen werden. Lassen Sie sich nicht beirren, wenn behauptet wird, dass nur eine geringe monatliche Pauschale von der Krankenkasse bereitgestellt wird und alles, was darüber hinausgeht, selbst getragen werden muss. Diese Praxis ist gesetzeswidrig und somit falsch!
Monatliche Pauschale
Zwar gibt es in der Praxis oft eine sogenannte Pauschale, die zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer vereinbart ist. Diese ist oft sehr niedrig, beschränkt aber nicht Ihren Anspruch auf eine adäquate Belieferung (individueller Bedarf, Qualität, Stückzahl), auch wenn diese die monatliche Pauschale übersteigt. Als Versicherter sind Sie nicht dafür zuständig, die Wirtschaftlichkeit des Leistungserbringers zu sichern. Im Zweifelsfall darf der Leistungserbringer keine Verträge mit Ihrer Kasse schließen, die für ihn nicht wirtschaftlich sind.
Probleme bei der Versorgung, Forderung nach ungerechtfertigten wirtschaftlichen Aufzahlungen und Mengenbegrenzungen in der Versorgung.
Viele gesetzlich Versicherte haben der Inkontinenz Sebsthilfe e.V. berichtet (und tun es täglich weiterhin), dass sie erhebliche Schwierigkeiten und unbegründete Forderungen nach eigenen finanziellen Beiträgen (wirtschaftliche Eigenanteile) bei der Bereitstellung von Inkontinenzhilfsmitteln erleben. Leistungserbringer argumentieren häufig, dass die Krankenkassen nur geringe monatliche Pauschalen zahlen und daher alles, was darüber hinausgeht, als Eigenanteil vom Versicherten übernommen werden müsse. Diese Auffassung ist jedoch falsch.
Gemäß der geltenden Gesetzgebung und den Verträgen, die Leistungserbringer mit den Krankenkassen abgeschlossen haben, sind die Bestimmungen sehr vorteilhaft für die Versicherten. Es gibt keine Mengenbegrenzung (pauschalisierte Versorgung) oder eine allgemeine Verpflichtung zur finanziellen, wirtschaftlichen Zuzahlung. Nur wenn spezielle Komfortmerkmale gewünscht werden oder die Menge der benötigten Hilfsmittel die medizinische Notwendigkeit übersteigt und lediglich persönlichen Vorlieben dient, kann eine private (wirtschaftliche) Zuzahlung verlangt werden.
In allen anderen Fällen sind die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, eine individuelle und bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten, ohne zusätzliche Kosten für den Versicherten (Sachleistungsprinzip), abgesehen von den üblichen gesetzlichen Zuzahlungen. Diese Zuzahlungen sind jedoch nicht dasselbe wie zusätzliche finanzielle Forderungen seitens der Leistungserbringer.
Versicherte haben das Recht auf eine kostenfreie Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln, solange diese im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit liegen. Wenn Ihnen also unbegründete finanzielle Beiträge verlangt werden, können Sie sich auf die gesetzlichen Vorschriften berufen und entsprechende Schritte einleiten, um Ihre Rechte einzufordern.
Auszug aus den relevanten Gesetzestexten, Richtlinien und Verzeichnissen:
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung -
§ 33 Hilfsmittel
(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung [...] mit [...] und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um [...] einer Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. [...]
[...] Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige [...] Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch [...]
(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.
(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. [...] Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.
Hinweis: Dies sind nur die relevanten Auszüge aus dem Gesetz und beziehen sich auf die gesetzlichen Rechte bei der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln.
Den gesamten Gesetzestext finden Sie hier: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__33.html
Quelle: Anforderungen an die Leistungserbringer gemäß § 127 SGB V.
Leistungen
Die folgenden Anforderungen richten sich an die Leistungserbringer gemäß § 127 SGB V und sind den Verträgen nach § 127 SGB V zugrunde zu legen. In den Verträgen nach § 127 SGB V können weitergehende Anforderungen geregelt werden.
Im Rahmen der Leistungserbringung ist den individuellen Versorgungserfordernissen der Versicherten oder des Versicherten, zum Beispiel hinsichtlich Alter, Geschlecht, Religion, Behinderung und chronischer Erkrankungen, Rechnung zu tragen.
Die folgenden Ausführungen zu den Dienstleistungsanforderungen beziehen sich auf die zu versorgende Person; je nach konkretem Versorgungsfall sind gegebenenfalls deren An- und Zugehörige/Eltern beziehungsweise gesetzliche Vertreterin oder gesetzlicher Vertreter als Adressat zu verstehen.
VII.1 Beratung
- Die persönliche Beratung der Versicherten oder des Versicherten über die für die konkrete Versorgungssituation geeigneten und notwendigen Hilfsmittel erfolgt im direkten Austausch – beispielsweise beim Leistungserbringer vor Ort – durch geschulte Fachkräfte. Die Beratung findet im Bedarfsfall und auf Wunsch der Versicherten oder des Versicherten am Wohnort der Versicherten oder des Versicherten statt.
- Die Beratung in den Räumen des Leistungserbringers nach § 127 SGB V hat in einem akustisch und optisch abgegrenzten Bereich/Raum zu erfolgen.
- Dem Wunsch nach einer geschlechtsspezifischen Beratung ist Rechnung zu tragen.
- Die Beratung der Versicherten orientiert sich an dem Expertenstandard „Förderung der Harnkontinenz in der Pflege“.
- Es ist über den Anspruch auf eine mehrkostenfreie Versorgung aufzuklären. Der Versicherten oder dem Versicherten wird eine hinreichende Auswahl an mehrkostenfreien Hilfsmitteln angeboten, die für den Versorgungsfall individuell geeignet sind.
- Das Beratungsgespräch einschließlich der mehrkostenfreien Versorgungsvorschläge ist zu dokumentieren, sofern in den Verträgen gemäß § 127 SGB V keine Ausnahmen für bestimmte Versorgungsfälle geregelt sind.
- Wählt die Versicherte oder der Versicherte eine Versorgung mit Mehrkosten, dokumentiert der Leistungserbringer, dass er im Sinne des Sachleistungsprinzips beraten und eine hinreichende Auswahl an mehrkostenfreien Hilfsmitteln, die für den Versorgungsfall geeignet waren, angeboten hat. Der Leistungserbringer dokumentiert darüber hinaus, welchen Mehrnutzen oder welche Merkmale das abgegebene Hilfsmittel gegenüber einem geeigneten mehrkostenfreien Hilfsmittel hat.
VII.2 Auswahl des Produktes
- Es erfolgt eine individuelle Bedarfsermittlung und bedarfsgerechte Auswahl eines geeigneten Hilfsmittels unter Berücksichtigung der ärztlichen Verordnung, der Indikationen/Diagnose, des Versorgungsziels, der Versorgungssituation und der möglichen Wechselwirkung mit bereits vorhandenen oder mit weiteren verordneten Hilfsmitteln.
- Für die Auswahl des bedarfsgerechten Produktes sowie, sofern zutreffend, der bedarfsgerechten Versorgungsmenge ist der individuelle Versorgungsbedarf zu ermitteln. Für die Bedarfsermittlung ist das Zugrundelegen pauschalierter Versorgungsmengen nicht geeignet. Zur Bedarfsermittlung kann der jeweilige Profilerhebungsbogen des GKV-Spitzenverbandes verwendet werden.
- Bei der Erstversorgung oder bei Veränderungen bei der Versicherten oder dem Versicherten, die Auswirkungen auf die Inkontinenzversorgung haben, sind die notwendigen Körpermaße zu ermitteln.
- Bei der Produktauswahl sind vorhandene Allergien gegen bestimmte Materialien abzuklären und zu berücksichtigen, gegebenenfalls in Rücksprache mit der behandelnden Ärztin beziehungsweise dem behandelndem Arzt.
- Bei der Produktauswahl sind die Fähigkeiten der Versicherten hinsichtlich der selbständigen Nutzung des Produktes zu ermitteln oder gegebenenfalls bestehende Unterstützungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
- Bei der Erstversorgung oder einem Produktwechsel erfolgt eine Bemusterung entsprechend dem Ergebnis der Bedarfsermittlung mit verschiedenen, individuell geeigneten Produkten, möglichst von verschiedenen Herstellern.
VII.3 Einweisung des Versicherten
- Es erfolgt eine sachgerechte, persönliche Einweisung der Versicherten oder des Versicherten in den bestimmungsgemäßen Gebrauch. Die Einweisung erstreckt sich auf die vom Hersteller vorgegebene fachgerechte Nutzung des Hilfsmittels sowie gegebenenfalls die Pflege und Reinigung. Ziel der Einweisung ist, dass die Versicherte oder der Versicherte in den Stand versetzt wird, das Hilfsmittel im alltäglichen Gebrauch sicher zu nutzen.
- Es ist eine allgemeinverständliche Gebrauchsinformation in deutscher Sprache auszuhändigen. Diese ist im Bedarfsfall unter Verwendung der vom Hersteller bereitgestellten Dokumente in einem für blinde und sehbehinderte Versicherte geeigneten Format (zum Beispiel in elektronischer Form) zur Verfügung zu stellen.
- Die Einweisung in den Gebrauch des Hilfsmittels ist durch den Leistungserbringer und die Versicherte oder den Versicherten schriftlich zu dokumentieren, sofern dies in den Verträgen gemäß § 127 SGB V nicht anders geregelt ist.
VII.4 Lieferung des Produktes
- Der Leistungserbringer stellt die Abgabe eines funktionsgerechten sowie hygienisch und technisch einwandfreien Hilfsmittels unter Berücksichtigung der Lagerungsmöglichkeiten bei der Versicherten oder dem Versicherten sicher.
- Die unverzügliche Lieferung bei der Erstversorgung sowie die rechtzeitige kontinuierliche Versorgung der Versicherten oder des Versicherten bei den Folgeversorgungen sowie bei einem Leistungserbringerwechsel ist sicherzustellen. Lieferumfang und Lieferintervall sind mit der Versicherten oder dem Versicherten abzustimmen.
- Der Empfang des Hilfsmittels ist von der Versicherten oder dem Versicherten schriftlich zu bestätigen.
VII.5 Service und Garantieanforderungen an den Leistungserbringer
- Die Auskunft und Beratung werden durch geschulte Fachkräfte des Leistungserbringers während der üblichen Geschäftszeiten sichergestellt.
- Es ist auf die Verfahrensweise bei Gewährleistungs- beziehungsweise Garantieansprüchen hinzuweisen.
(Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL)
Zur kompletten Richtlinie (PDF)...
§ 127 Verträge
(1) Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften schließen im Wege von Vertragsverhandlungen Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung. Darüber hinaus können die Vertragsparteien in den Verträgen nach Satz 1 auch einen Ausgleich der Kosten für erhöhte Hygienemaßnahmen infolge der COVID-19-Pandemie vereinbaren. Dabei haben Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen. In den Verträgen nach Satz 1 sind eine hinreichende Anzahl an mehrkostenfreien Hilfsmitteln, die Qualität der Hilfsmittel, die notwendige Beratung der Versicherten und die sonstigen zusätzlichen Leistungen im Sinne des § 33 Absatz 1 Satz 5 sicherzustellen und ist für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten zu sorgen. Den Verträgen sind mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und Produkte zugrunde zu legen. Die Absicht, über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln Verträge zu schließen, ist auf einem geeigneten Portal der Europäischen Union oder mittels einem vergleichbaren unionsweit publizierenden Medium unionsweit öffentlich bekannt zu machen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen legt bis zum 30. September 2020 ein einheitliches, verbindliches Verfahren zur unionsweiten Bekanntmachung der Absicht, über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln Verträge zu schließen, fest. Über die Inhalte abgeschlossener Verträge einschließlich der Vertragspartner sind andere Leistungserbringer auf Nachfrage unverzüglich zu informieren. Werden nach Abschluss des Vertrages die Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte nach § 139 Absatz 2 durch Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses verändert, liegt darin eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die die Vertragsparteien zur Vertragsanpassung oder Kündigung berechtigt.
(1a) Im Fall der Nichteinigung wird der streitige Inhalt der Verträge nach Absatz 1 auf Anruf einer der Verhandlungspartner durch eine von den jeweiligen Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige Schiedsperson innerhalb von drei Monaten ab Bestimmung der Schiedsperson festgelegt. Eine Nichteinigung nach Satz 1 liegt vor, wenn mindestens einer der Vertragspartner intensive Bemühungen zur Erreichung eines Vertrages auf dem Verhandlungswege nachweisen kann. Einigen sich die Vertragspartner nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der für die vertragschließende Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde innerhalb eines Monats nach Vorliegen der für die Bestimmung der Schiedsperson notwendigen Informationen bestimmt. Die Schiedsperson gilt als bestimmt, sobald sie sich gegenüber den Vertragspartnern zu ihrer Bestellung bereiterklärt hat. Der bisherige Vertrag und die bisherigen Preise gelten bis zur Entscheidung durch die Schiedsperson fort. Legt die Schiedsperson Preise fest, hat sie diese so festzusetzen, dass eine in der Qualität gesicherte, ausreichende, zweckmäßige sowie wirtschaftliche Versorgung gewährleistet ist. Zur Ermittlung hat die Schiedsperson insbesondere die Kalkulationsgrundlagen der jeweiligen Verhandlungspartner und die marktüblichen Preise zu berücksichtigen. Die Verhandlungspartner sind verpflichtet, der Schiedsperson auf Verlangen alle für die zu treffende Festlegung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Kosten des Schiedsverfahrens tragen die Vertragspartner zu gleichen Teilen. Widerspruch und Klage gegen die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde haben keine aufschiebende Wirkung. Klagen gegen die Festlegung des Vertragsinhalts sind gegen den Vertragspartner zu richten. Der von der Schiedsperson festgelegte Vertragsinhalt oder von der Schiedsperson festgelegte einzelne Bestimmungen des Vertrages gelten bis zur gerichtlichen Ersetzung oder gerichtlichen Feststellung der Unbilligkeit weiter.
(2) Den Verträgen nach Absatz 1 Satz 1 können Leistungserbringer zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten, soweit sie nicht auf Grund bestehender Verträge bereits zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Hierbei sind entsprechend Absatz 1 Satz 1 Vertragsverhandlungen zu ermöglichen. Verträgen, die mit Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer abgeschlossen wurden, können auch Verbände und sonstige Zusammenschlüsse der Leistungserbringer beitreten. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für fortgeltende Verträge, die vor dem 1. April 2007 abgeschlossen wurden. § 126 Abs. 1a und 2 bleibt unberührt.
(3) Soweit für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse nach Absatz 1 mit Leistungserbringern bestehen oder durch Vertragspartner eine Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise nicht möglich ist, trifft die Krankenkasse eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer; Absatz 1 Satz 2, 4 und 5 gilt entsprechend. Sie kann vorher auch bei anderen Leistungserbringern in pseudonymisierter Form Preisangebote einholen. In den Fällen des § 33 Abs. 1 Satz 5 gilt Satz 1 entsprechend.
(4) Für Hilfsmittel, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde, können in den Verträgen nach den Absätzen 1 und 3 Preise höchstens bis zur Höhe des Festbetrags vereinbart werden.
(5) Die Leistungserbringer haben die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung zu beraten, welche Hilfsmittel und zusätzlichen Leistungen nach § 33 Absatz 1 Satz 1 und 5 für die konkrete Versorgungssituation im Einzelfall geeignet und notwendig sind. Die Leistungserbringer haben die Beratung nach Satz 1 schriftlich oder elektronisch zu dokumentieren und sich durch Unterschrift der Versicherten bestätigen zu lassen. Das Nähere ist in den Verträgen nach § 127 zu regeln. Im Falle des § 33 Absatz 1 Satz 9 sind die Versicherten vor der Wahl der Hilfsmittel oder zusätzlicher Leistungen auch über die von ihnen zu tragenden Mehrkosten zu informieren. Satz 2 gilt entsprechend.
(6) Die Krankenkassen haben ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Abweichend von Satz 1 informieren die Krankenkassen ihre Versicherten auf Nachfrage, wenn diese bereits einen Leistungserbringer gewählt oder die Krankenkassen auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. Sie können auch den Vertragsärzten entsprechende Informationen zur Verfügung stellen. Die Krankenkassen haben die wesentlichen Inhalte der Verträge nach Satz 1 für Versicherte anderer Krankenkassen im Internet zu veröffentlichen.
(7) Die Krankenkassen überwachen die Einhaltung der vertraglichen und gesetzlichen Pflichten der Leistungserbringer nach diesem Gesetz. Zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung führen sie Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durch. Die Leistungserbringer sind verpflichtet, den Krankenkassen auf Verlangen die für die Prüfungen nach Satz 1 erforderlichen einrichtungsbezogenen Informationen und Auskünfte zu erteilen und die von den Versicherten unterzeichnete Bestätigung über die Durchführung der Beratung nach Absatz 5 Satz 1 vorzulegen. Soweit es für Prüfungen nach Satz 1 erforderlich ist und der Versicherte schriftlich oder elektronisch eingewilligt hat, können die Krankenkassen von den Leistungserbringern auch die personenbezogene Dokumentation über den Verlauf der Versorgung einzelner Versicherter anfordern. Die Leistungserbringer sind insoweit zur Datenübermittlung verpflichtet. Die Krankenkassen stellen vertraglich sicher, dass Verstöße der Leistungserbringer gegen ihre vertraglichen und gesetzlichen Pflichten nach diesem Gesetz angemessen geahndet werden. Schwerwiegende Verstöße sind der Stelle, die das Zertifikat nach § 126 Absatz 1a Satz 2 erteilt hat, mitzuteilen.
(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen gibt bis zum 30. Juni 2017 Rahmenempfehlungen zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung ab, in denen insbesondere Regelungen zum Umfang der Stichprobenprüfungen in den jeweiligen Produktbereichen, zu möglichen weiteren Überwachungsinstrumenten und darüber getroffen werden, wann Auffälligkeiten anzunehmen sind.
(9) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen der Leistungserbringer maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene geben bis zum 31. Dezember 2017 gemeinsam Rahmenempfehlungen zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Durchführung und Abrechnung der Versorgung mit Hilfsmitteln ab. Kommt eine Einigung bis zum Ablauf der nach Satz 1 bestimmten Frist nicht zustande, wird der Empfehlungsinhalt durch eine von den Empfehlungspartnern nach Satz 1 gemeinsam zu benennende unabhängige Schiedsperson festgelegt. Einigen sich die Empfehlungspartner nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt. Die Kosten des Schiedsverfahrens tragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen der Leistungserbringer maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene je zur Hälfte. In den Empfehlungen können auch Regelungen über die in § 302 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 genannten Inhalte getroffen werden. § 139 Absatz 2 bleibt unberührt. In den Empfehlungen sind auch die notwendigen Regelungen für die Verwendung von Verordnungen von Leistungen nach § 33 in elektronischer Form zu treffen. Es ist festzulegen, dass für die Übermittlung der elektronischen Verordnung die Dienste der Anwendungen der Telematikinfrastruktur nach § 334 Absatz 1 Satz 2 genutzt werden, sobald diese Dienste zur Verfügung stehen. Die Regelungen müssen vereinbar sein mit den Festlegungen der Bundesmantelverträge nach § 86. Die Empfehlungen nach Satz 1 sind den Verträgen nach den Absätzen 1 und 3 zugrunde zu legen.
Fußnote
(+++ § 127 Abs. 4: Zur Anwendung vgl. § 24e +++)