Als Vorsitzender der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. hatte ich eine Einladung am Hilfsmittelforum des BVMed auf der REHACARE International 2018 teilzunehmen.
In der 90-minütigen Podiumsdiskussion diskutierte ich als Vertreter der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. zum Thema: „Wie viel Versorgungsqualität kommt nach dem HHVG wirklich beim Patienten an?“
Zunächst gab Herr Andreas Brandhorst | Bundesministerium für Gesundheit Einführung | einen kurzen Vortrag zur aktuellen Versorgungsentwicklungen nach Einführung des HHVG und Handlungsbedarf aus Sicht des BMG.
Im Verlauf der Podiumsdiskussion wurde eine Bewertung der aktuellen Umsetzung der Qualitätssicherungsinstrumente des HHVG durch die Krankenkassen und die Leistungserbringer unter Berücksichtigung der Faktoren:
> Umsetzung der Beratungs- und Informationspflicht der Krankenkasse
> Umsetzung der Ansprüche in den Hilfsmittelverträgen
> Umsetzung der Vertragsinhalte
> Umsetzung des Vertragscontrollings
> Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung
> Definition und Festlegung des Maßes des Notwendigen und eines möglichen Mehrbedarfs
thematisiert und diskutiert.
An der Podiumsdiskussion nahmen teil:
> Ben Bake Vorstand | Sanitätshaus Aktuell AG Vorstand | Bundesverband Medizintechnologie e. V. Sprecher | Initiative »Faktor Lebensqualität«
> Andreas Brandhorst Referatsleiter Vertragszahnärztliche Versorgung, Heilmittel-, Hilfsmittelversorgung & wirtschaftliche Fragen des Rettungsdienstes | Bundesministerium für Gesundheit
> Dr. Siiri Doka Leiterin Referat Gesundheitspolitik u. Selbsthilfeförderung | BAG SELBSTHILFE
> Bernd Faehrmann Abteilungsleiter Arznei-, Heil- und Hilfsmittel | AOK-Bundesverband
> Thomas Piel Vorstandsvorsitzender | Verband Versorgungsqualität Homecare (VVHC) Geschäftsführer | RSR Reha-Service-Ring GmbH
> Dr. Walter Seliger Abteilung Gesundheit – Referat Hilfsmittel | GKV-Spitzenverband
> Matthias Zeisberger 1. Vorsitzender | Inkontinenz Selbsthilfe e. V.
Grundsätzlich geht es beim HHVG nicht ausschließlich um Hilfsmittel zur Inkontinenzversorgung. Das Gesetz betrifft alle Heil- und Hilfsmittel. Durch meine Teilnahme war der Schwerpunkt der Diskussion allerdings extrem auf die Versorgungssituation der Inkontinenzbetroffenen fixiert.
Zugegeben, ich war sehr nervös. Auch ich sitze nicht jeden Tag auf einem öffentlichen Podium, vor vielen Zuschauern und hochkarätigen Mitdiskutanten. Ich konnte aber sehr deutlich machen, dass der Wille des Gesetzgebers beim HHVG zwar grundsätzlich zu begrüßen ist, die Umsetzung aber nach wie vor nicht befriedend ist.
Ziel muss sein, das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung konsequent umzusetzen und Schwachstellen auszuräumen. Im Sinne einer qualitativ hochwertigen Versorgung muss die Qualität und nicht der Preis bei der Ausschreibung einer Hilfsmittelgruppe im Mittelpunkt stehen.
Es kann nicht angehen, dass die DAK, aber auch andere Kassen, eine aktuelle Ausschreibung zur Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln für unter 12 Euro im Monat vergibt.
Herr Brandhorst vom Bundesministerium für Gesundheit erwiderte auf meine Argumente, dass der Preis nicht das ausschlaggebende Argument sei. Wenn man zu diesen Preisen keine Qualitätskriterien erfüllen würde, dies wäre ja der gesetzliche Wille, dann wäre dies gesetzeswidrig. Ein Problem und einen Grund zum Handeln sah Herr Brandhorst nicht.
Als Betroffener und Interessenvertreter der Betroffenen sehe ich dies allerdings differenzierter und kritisch. Preis und Qualität müssen jeweils zu 50 Prozent als Zuschlagskriterien in Ausschreibungen einfließen. Dabei werden verschiedene Qualitätskriterien namentlich benannt. Knackpunkt ist der Gesetzesabschnitt, dass davon abgewichen werden kann, wenn die qualitativen Anforderungen bereits in der Leistungsbeschreibung enthalten sind. Hierin sehe ich unklare Vorgaben des Gesetzgebers, die die Kassen ermunterten, bei den Ausschreibungen zu aufsaugenden Inkontinenzhilfsmitteln 80 Prozent Preis und 20 Prozent Qualität als Zuschlagskriterien zu veranschlagen.
Erwähnt wurde die Neugestaltung des Hilfsmittelverzeichnisses. Tatsächlich sind dort nun sehr hochwertige und den persönlichen Lebensbedingungen und Anforderungen gerecht werdende Produkte gelistet. Waren vor dem Inkrafttreten des HHVG die Qualitätskriterien der Aufnahme von Inkontinenzhilfsmittel doch auf die Qualitätsanforderungen des Jahres 1993!!! festgelegt.
In der Praxis bedeutet dies aber nicht, dass Betroffene nun standardmäßig mit diesen Produkten versorgt werden können. Diese sind nämlich nach wie vor nur gegen teilweise sehr hohe wirtschaftliche Zuzahlungen zu erhalten.
Ich widersprach dem Vorwurf, dass viele Betroffenen stets nach einer Luxusversorgung streben, frei nach dem Motto „das Beste sei gerade gut genug“. Natürlich wird es dies immer einmal wiedergeben, die überwältigende Mehrzahl der Versicherten und Betroffenen möchte aber schlichtweg ein Hilfsmittel, welches ihre Krankheit und Behinderung ausgleicht, ihr gerecht wird und eine Teilnahme am Leben zulässt. Dies scheint mir bei Dumpingpreisen von unter 12 Euro für den Monatsbedarf in vielen Fällen nicht möglich.
Hilfsmittelversorgung ist kein Glückspiel, wo sich eine individuelle Versorgung an Kriterien wie Kassenmitgliedschaft, Wohnort und Leistungserbringer oder im persönlichen Gespräch bei der Produktfindung daran richtet, ob der Sachbearbeiter schon seinen Kaffee getrunken hatte.
Hilfsmittelversorgung ist ein Menschenrecht! Es betrifft die Würde eines Menschen und diese spielt in der Betrachtung leider nach wie vor eine untergeordnete Rolle.
Gegenargumentiert wurde auch, dass die Zahl der Beschwerden und negativen Rückmeldungen aus dem Kreis der Betroffenen zu ihrer Versorgung gering wären. Dies mag auf den ersten Blick so sein, sagt aber nichts über die wirkliche Situation unter den Versorgten und Betroffenen aus.
Ich führte an, dass dies vor allem dem immer noch sehr tabubehafteten Thema Inkontinenz geschuldet sein. Ich berichtete kurz, mit wieviel Scham und nach teilweise jahrelangem Leidensdruck Betroffene mit unserem Verein erstmals in Kontakt treten. In welcher Lebenssituation sich Menschen befinden, am Beispiel des Partners eines Schlaganfallbetroffenen, welche sich erstmals mit der Thematik der Hilfsmittelversorgung auseinandersetzen muss. Dort ist oftmals gar nicht das Wissen über rechtliche Ansprüche und vor allem die Kraft seine Ansprüche durchzusetzen vorhanden.
Ich kann nur an euch appelieren. Stärkt die organisierte Interessenvertretung, stärkt die Gemeinschaft der Betroffenen. Wir setzen uns für eure Interessen ein! Werdet bitte Mitglied in der Inkontinenz Selbsthilfe e.V.
Mitgliedsantrag: www.inkontinenz-selbsthilfe.com/mitgliedsantrag
Im Rahmen meines zweitägigen Besuchs auf der Rehacare habe ich zudem gute Gespräche mit diversen Hilfsmittelherstellern geführt und ein wenig Kontaktpflege betrieben.
So habe ich Anouk Schmitt getroffen, mit der bereits seit einiger Zeit in Kontakt stehe. Sie hat einen sehr interessanten Artikel in ihrem Blog veröffentlicht, welche ihre Erlebnisse nach einem zwangsweisen Versorgerwechsel und die dadurch entstandenen Probleme sehr anschaulich schildert.
Den Blog findet ihr hier: th-10.de/meine-katheter-die-krankenkasse-der-versorger-ich
Ich habe mir die fulminant-famose Aufzeichnung von KRAUTHAUSEN - face to face! angeschaut. Der mir befreundete Raul Krauthausen war im Gespräch mit dem Artisten und Tänzer Dergin Tokmak und der Bloggerin Julia Probst.
Ich habe ein schönes Gespräch mit Laura Gehlhaar geführt. lauragehlhaar.com/blog.html
Habe Laura M. Schwengber (Gebärdensprachdolmetscherin) wieder einmal getroffen. www.lauramschwengber.de/
Insgesamt war eh halb Berlin auf der Rehacare und so habe ich doch viele bekannte Gesichter getroffen und meine Freundschaft Liste bei Facebook reichlich gefüllt.
Besonders habe ich mich auch darüber gefreut, dass Vereinsmitglieder auf der Podiumsdiskussion anwesend waren und ich diese teilweise erstmals persönliche kennen lernen durfte.
Fazit: 3 Tage Rehacare Düsseldorf liegen hinter mir. Eine gute Podiumsdiskussion auf der Bühne zum Thema HHVG geführt, großartige Produkte gesehen und ausprobiert, beim Bogenschießen festgestellt, dass dies eine Sportart für mich sein könnte, halb Berlin getroffen, großartige Gespräche geführt und einige neue Freundschaften geschlossen. Freu mich schon auf nächstes Jahr.
Liebe Grüße
Matthias Zeisberger
Vorsitzender der Inkontinenz Selbsthilfe e.V.