Aktionsbündnis will Wahlfreiheit bei medizinischen Hilfsmitteln erhalten.
Sechs Millionen Menschen in Deutschland sind auf medizinische Hilfsmittel angewiesen. Jetzt soll nur noch die Krankenkasse entscheiden, welcher Versorgungspartner für Betroffene der Richtige ist.
Das Aktionsbündnis
"meine Wahl!" startet eine bundesweite Informations- und Mobilisierungskampagne für den Erhalt der Wahlfreiheit bei medizinischen Hilfsmitteln. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss von Menschen mit Behinderungen, Selbsthilfevereinigungen, Hilfsmittelherstellern und Versorgungspartnern wie Sanitätshäusern und Homecare-Unternehmen. Ziel des Aktionsbündnisses ist es, das Recht auf freie Wahl des Versorgungspartners im Hilfsmittelbereich zu erhalten und eine bedarfsgerechte, dem Stand der Technik entsprechende Versorgung mit Hilfsmitteln sicherzustellen. Insgesamt 26 Unternehmen und Organisationen unterstützen bereits die Arbeit und die Ziele des Bündnisses, darunter die
Deutsche Kontinenz Gesellschaft, der Deutsche Rollstuhl-Sportverband e.V., die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. V., die Internationale Fördergemeinschaft Kinder- und Jugendrehabilitation, rehaKind e.V. und der
Inkontinenz Selbsthilfe e.V.
Ab dem 1. Januar 2009 soll die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Bandagen, Rollstühlen, Prothesen oder Produkten zur
Inkontinenz- oder Stomaversorgung ausschließlich durch Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und wenigen festen Vertragspartnern organisiert werden. Das Aktionsbündnis "meine Wahl!" wendet sich gegen diese Regelung aus dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), weil sie das Recht der Versicherten auf Mitsprache bei der Hilfsmittelversorgung ignoriert. Betroffene werden mit ungewohnten und eventuell weniger geeigneten Produkten und Versorgungspartnern konfrontiert. Fehl- oder Unterversorgungen, höhere Kosten und ein Zusammenbruch der wohnortnahen Versorgung sind die befürchteten Folgen.
"Die meisten Betroffenen wissen noch gar nicht, was im nächsten Jahr auf sie zukommt", meint
Dr. Martin Danner, Referatsleiter Gesundheitspolitik der BAG Selbsthilfe. "Viele werden ab 2009 ihre Hilfsmittel nicht mehr von ihrem gewohnten Sanitätshaus oder Homecare-Unternehmen beziehen können. Das bedeutet auch, dass sie wahrscheinlich nicht mehr das gewohnte Produkt und die vertraute Betreuung und Beratung erhalten. Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass bei einer Versorgung durch den preisgünstigsten Anbieter die Bedürfnisse von Patienten mit hohem Versorgungsaufwand nicht hinreichend berücksichtigt werden", so Danner.
Auch
Christiana Hennemann, Vorstandssprecherin von rehaKind e.V. betont die Bedeutung einer individuellen bedarfsgerechten Versorgung. "Die spezifische, eigene Behinderung und die ganz persönlichen Einschränkungen müssen berücksichtigt werden. Gerade Kinder benötigen wegen ihres im Wachstum extrem formbaren Körpers individuell angepasste Hilfsmittel, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Eine optimale Hilfsmittelversorgung erfolgt immer in Absprache mit Eltern, Therapeuten und Ärzten." In Deutschland werden jährlich ca. 9.000 behinderte Kinder neu mit Hilfsmitteln versorgt.
"Menschen mit Behinderungen müssen sich auf ihre Versorgungspartner verlassen und ihnen vertrauen können",
sagt Michael Heil, selbst Rollstuhlfahrer und Reha-Spezialist. "Aber die neuen Regelungen führen dazu, dass die oft langjährigen Beziehungen zwischen Arzt, Therapeut, Techniker und Versorger aufgegeben werden. Für jedes Hilfsmittel kann es einen anderen Lieferanten, einen anderen Ansprechpartner geben. Diese Zerstörung von Dienstleistungsketten und ihr Ersatz durch Billiganbieter mit reiner Logistikstruktur verhindern eine sinnvolle Versorgung." Mitsprache bei der Wahl des Leistungserbringers sei eine Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und eine bedarfsgerechte Versorgung.
Für
Klaus Grunau, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Medizintechnologie e.V., ist das Patientenrecht auf eine freie Wahl des Versorgungspartners auch aus Sicht der Hersteller und Leistungserbringer unverzichtbar: "Nichts fördert den Wettbewerb auf dem Hilfsmittelmarkt so nachhaltig wie gesundheitsbewusste und mitspracheberechtigte Verbraucher. Durch ihre Hilfsmittelentscheidung setzen Betroffene wichtige wirtschaftliche Impulse und schaffen Anreize für Forschung und Innovation", so Grunau. Die derzeitige Situation stellt die Hilfsmittellieferanten und die Krankenkassen vor einen extrem hohen Verwaltungsaufwand und rechtliche Unsicherheiten. Die Leistungsbeschreibungen vieler Ausschreibungen sind unklar, verbindliche Dienstleistungsstandards im Hilfsmittelverzeichnis fehlen. Anbieter, die Dumpingpreise auf Kosten der Qualität anbieten, werden so begünstigt und eine Oligopolbildung ist vorprogrammiert. Mittelständische gewachsene Strukturen werden ohne Not zerstört.
Die
Inkontinenz Selbsthilfe erreichen bereits heute teilweise haarsträubende Berichte. So werden Betroffenen "genötigt" einen dreimonats Vorrat an Windelhosen anzunehmen. Dás dies viele Betroffenen vor Lagerungsprobleme stellt, erklärt sich von selbst. Hinzu kommt, dass es sich bei der Hilfsmittel-Versorgung oft um ein komplexes Beziehungsfeld zwischen Patient/in und betreuendem Dienstleister handelt. Als Betroffenen-Vereinigung wissen wir aus eigener Erfahrung, dass nicht selten vielfältige Krankheitsbilder vorzufinden sind, welche eine individuelle und den persönlichen Lebensumständen Rechnung tragende Beratung und Versorgung unabdingbar machen.
Bis Ende 2008 gilt eine Übergangsfrist, in der die Hilfsmittelversorgung noch weitgehend wie bisher erfolgen kann. Über 20 gesetzliche Krankenkassen haben jedoch bereits Ausschreibungen durchgeführt oder initiiert. Zahlreiche neue Verträge wurden abgeschlossen. Infolgedessen gelten bereits jetzt für mehrere zehntausend gesetzlich Krankenversicherte im Bedarfsfall erhebliche Einschränkungen bei der Hilfsmittelversorgung. Dies betrifft bislang vor allem die Versorgung von Inkontinenzpatienten, die Anti-Dekubitusversorgung, orthopädische Hilfsmittel und den Bereich der TENS Schmerztherapie. Patienten und pflegende Angehörige beklagen vor allem die schlechtere Qualität der Versorgung und die mangelnde Beratung durch manche ihnen neu zugewiesene Versorgungspartner.
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