Hallo Claudia
Herzlich willkommen! Ich bin ebenfalls harninkontinent mit einer ähnlichen Diagnose, wobei bei mir der Bereich S1-S5 betroffen ist. Zudem basiert der Verdacht auf eine Nervenschädigung in diesem Bereich nur auf einer Differentialdiagnose (es wurde aber nun entschieden, dass weitere Untersuchungen gemacht werde).
Die Blasenentleerung funktioniert wiefolgt: Wenn sich die Blase füllt, dehnt sie sich aus, so dass irgendwann der Blasenwandmuskel (Detrusor) so anspannt Ist, dass er Harndrang auslöst. Der gesunde Mensch ist dann in der Lage, mit Hilfe des äusserem Blasenschliessmuskels (Sphinkter) den Harndrang eine gewisse Zeit zu kontrollieren und die Miktion hinauszuzögern. Auf der Toilette wird dann der Sphinkter bewusst entspannt, worauf sich der Detrusor zusammenzieht und so das Wasserlassen auslöst. Dabei ist es so, dass wir im Normalfall den Sphinkter aktiv steuern können, der Detrusor aber die Nervensignale nicht vom Hirn erhält, sondern situativ vom peripheren Nervensystem gesteuert wird.
Bei einer Nervenläsion kann die Nervenverbindung zum Detrusor und/oder zum Sphinkter gestört oder gar unterbunden sein, was unterschiedliche Blasenentleerungsstörungen verursachen kann. In Deinem Fall interpretiere ich die Diagnose so, dass
- der Detrusor hyperaktiv ist; d.h. es treten Blasenkontraktionen auf, obwohl die Blase noch nicht gefüllt , bzw. der Sphinkter die Entleerung noch nicht freigegeben hat
- die Koordination zwischen Sphinkter und Detrusor nicht funktioniert, was auch am Sphinkter liegen kann.
Mit der Hochdruckmiktion kann ich nicht viel anfangen, vermute aber, dass beim Wasserkassen der Druck in Deiner Harnröhre unüblich gross ist, was mit einer mangelnden Kontrolle des Sphinkters zusammenhängen könnte.
An Deiner Stelle würde ich versuchen, von Deiner Ärztin mehr zu erfahren. Zum Beispiel...
- Wie sieht Deine Entleerungskurve aus? Ich erwarte, dass sie (wie übrigens bei mir) abgehakt ist
- Hast Du Restharn, und falls ja, wieviel?
- Wie gross ist Dein Blasenfüllvolumen? Liegt es im normalen Bereich?
- Wie kommt sie auf die Diagnose und wie sicher ist sie sich?
-....
Ich bin kein Arzt, versuche aber dennoch meine Sichtweise einiger möglichen Therapien zu formulieren. Im allgemeinen ist mein Eindruck der, dass keine der Therapien eine Erfolgsgarantie bietet, aber abhängig von Ursache für die Störung, Ausgeprägtheit der Blasenentleerungsstörung und Individuum, mehr oder weniger erfolgversprechend ist.
- Mit Medikamenten kann man die Hyperaktivität des Detrusors hemmen oder allenfalls den Sphinkter etwas entspannen (das sind dann zwei unterschiedliche Therapien). Da die Medikamente in Dein Nervensystem eingreifen, musst Du allerdings mit Nebenwirkungen (Schwindel, trockener Mund, Sehprobleme,...) rechnen. Da reagiert jeder Mensch unterschiedlich, Vorteil ist, dass man die Therapie jederzeit abbrechen kann.
- Die Botoxtherapie schwächt die Detrusoraktivität ebenfalls ab, wodurch eine bessere Blasenkontrolle erreicht werden kann. Risiko/Nachteil kann eine zu starke Wirkung des Botox sein, so dass sich die Blase nur ungenügend entleeren kann und man sich selber Katheterisieren muss (was kein Weltuntergang ist; hier gibt es einige Teilnehmer, die sehr gut damit klar kommen). Die Wirkung des Botox hält ca 6 Monate an; d.h auch hier kann man im schlimmsten Fall nach dieser Zeit die Therapie abbrechen.
- Sakrale Nervenstimulation: über die elektrische Stimulation der Sakralnerven kann die Detrusorhyperaktivität unter Umständen gemindert werden, Dafür wird ein Gerät in den Sakralbereich implantiert. Ich weiss nicht, ob dies bei Dir anwendbar wäre (Läsion im Bereich L3-S1), das kann aber Deine Ärztin beurteilen.
- Physiotherapie des Beckenbodens, adressiert nicht den Detrusor, aber den Sphinkter, ist nicht in jedem Fall sinnvoll (auch hier kann die Ärztin die Situation abschätzen).
Meine Sichtweise ist, dass an erster Stelle die Gesundheit der Nieren kommt. Falls ein Risiko von Rückstau des Harns in die Nieren besteht, ist es sehr wichtig, nicht zuzuwarten, sondern dies anzugehen (z.B. durch regelmässiges Selbstkatheterisieren). Die Dringlichkeit, mit welcher die Inkontinenz behandelt werden soll, hängt davon ab, wie gut man mit der Inkontinenz zurecht kommt, bzw, wie einschränkend die Inkontinenz wahrgenommen wird. Z.B. ist der Entscheid, ob Du Dir Botox spritzen lassen möchtest oder nicht, meiner Meinung nach nicht dringend. Lass Dir Zeit, sammle Informationen und Erfahrungen zu dieser Therapie, bevor Du Dich dafür oder dagegen entscheidest.
Wichtig zudem ist die „soziale Kontinenz“, welche dadurch sichergestellt ist, dass man mit Hilfe von Verhaltensweisen und Hilfsmitteln den Einfluss der Inkontinenz auf den Alltag minimiert.
Ich hoffe, dass Dir mein langer Beitrag etwas geholfen hat. Wie geschrieben, bin ich kein Arzt, d.h. bitte geniesse meinen Input mit der entsprechenden Skepsis.
Herzliche Grüsse
Martin