"Ausschlaggebend für die Fortschritte und den Erfolg der Rehabilitation sind weder Ärzte, Therapeuten oder Hilfsmittel, sondern die Angehörigen". Dieser Satz hat sich damals bei mir eingeprägt und mich motiviert nicht aufzugeben.
Genau das ist auch meine Erfahrung! Der Schlaganfall meines Bruders passierte in Spanien (wo er viele Jahre allein lebte), im Krankenhaus nach einer lächerlichen Handoperation, die 5 Tage zuvor stattgefunden hatte. In Spanien kennt man nicht die intensive Therapie, die hier in Deutschland unmittelbar nach einem Schlaganfall usus ist. Es existieren keine stroke units. Bereits 2 Wochen nach dem Schlaganfall nahm man mich zur Seite und legte mir nahe, ihn in ein Altersheim abzuschieben, man könne medizinisch nichts mehr für ihn tun. Damals lag er noch im Koma mit einer Magensonde, hatte aber bereits immer wieder kurze Wachphasen. Leider war er nicht ordentlich versichert, so dass ich ihn erst 8 Wochen später (mit Rollstuhl in einer normalen Linienmaschine!) ausfliegen konnte. Jedoch haben wir ihn dort zuvor in ein besseres Krankenhaus verlegen lassen und privat sofort mit Physiotherapie begonnen. Es war zwar ein Tropfen auf einem heißen Stein – aber besser als gar nichts.
Er berappelte sich von Woche zu Woche, wurde wacher, die Magensonde konnte entfernt werden und er bekam Breinahrung. Alle verboten mir, ihm etwas zu trinken zu geben, aber ich bemerkte an der Art seines Schluckens, dass es funktionieren müsste. Irgendwann traute ich mich dann, mit Strohhalm – und es funktionierte von Anfang an recht gut. Das erste Obst, einige kleine Häppchen Weißbrot etc. – keiner traute sich die Verantwortung zu übernehmen, aber er konnte mehr, als man ihm zutraute. Seine Flüssigkeitsinfusionen konnten vollständig eingestellt werden.
In der Reha wollten sie dann wieder von vorne anfangen mit der Breinahrung – und immer wieder musste ich davon überzeugen, dass er mehr kann. Irgendwann lernte er auch wieder ganz normal aus dem Glas zu trinken. Es war in der Reha und es war ein Glas (alkoholfreies) Bier im Garten, dass ich ihm gab, und das er sichtlich genoss nach der ganzen Mineralwasser-Trinkerei. Die dafür notwendige Koordination von Hand, Lippen und Schlucken stellte kein Problem mehr dar.
Im Pflegeheim kämpfe ich immer noch dafür, dass man ihn möglichst alleine essen lässt – mit der rechten Hand, die mittlerweile wieder voll beweglich ist.
Und jetzt ist für mich die Inkontinenz das Thema, das ich angehen werde. Ich verspreche mir davon für ihn einen deutlichen Fortschritt in seiner Lebensqualität und damit auch in psychischen Verfassung. Es ist grotesk: gestern meldete er sich bei mir „ich muss auf die Toilette“. Ich stürmte los, um von den Pflegern Hilfe zu bekommen, ihn auf einen Toiletten-Stuhl zu setzen. (Ich bin relativ zierlich und mein großer Bruder ist ein großer, kräftiger Mann.) Der Pfleger war zwar willig, vertröstete mich aber auf eine Wartezeit von 15 Minuten. Dann würden sie Zeit haben und sie wollten ihn sowieso duschen. Sie müssten zu zweit sein und früher ginge es nicht.
Genau diese Situation darf es nicht geben. Die Harn-Inkontinenz (die ich für schwerer behandelbar halte) ist das eine, aber die Stuhl-Inkontinenz wird ihm regelrecht anerzogen, aus Bequemlichkeit. Leider ist er eben halbseitig bewegungsunfähig, so dass bei jedem Toilettenstuhl-Gang ein Lifter oder zwei Pflegekräfte benötigt werden. Aber so etwas muss organisierbar sein, auch bei Pflegestufe 3!
Ja, wir müssen kämpfen für die Menschen, für die wir verantwortlich sind. Ich werde niemals aufhören damit. Aber es ist schwer und kostet viel Kraft. Es wäre so viel leichter, wenn die Kranken als Individuen behandelt werden würden, und nicht pauschal als Fälle. Für mich stellt sich seit langem die Frage: wo bleibt hier eigentlich die Menschenwürde?
Danke Chris, für Deine Ermutigung mit Deinen eigenen Erfahrungen. Auch Ermutiger brauchen immer wieder mal Ermutigung!
Dir und Deiner Frau wünsche ich von Herzen, dass es mit den Fortschritten so weiter geht. Wir sagen in der Familie immer „alles wird am Ende gut – und ist es das nicht, dann ist es auch nicht das Ende“.
Liebe Grüße
Christiane50