Hallo Ayk,
als Verein ist das Thema Hilfsmittelversorgung / Versorgungspauschalen unser Dauerthema seit Jahren. Im April 2008 verpflichtet das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) die gesetzlichen Krankenkassen, die Hilfsmittelversorgung ihrer Versicherten mit Produkten zur Inkontinenz- und Stomaversorgung spätestens ab dem 1. Januar 2009 ausschließlich durch feste Vertragspartner zu regeln. Eine grundsätzliche Verpflichtung, diese Vertragspartner über Ausschreibungen zu ermitteln, wurde mit Nachbesserungen zu den Regelungen des GKV-WSG durch den Bundestag am 17. Oktober 2008 auch durch das Engagement der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. verhindert.
Beteiligt haben wir uns damals an drei Podiumsdiskussionen in Hamburg, München und Düsseldorf. Dort haben wir mit Entscheidungsträgern aus Politik, GKV, Krankenkassen und Leistungserbringern diskutiert. Zudem unterstützten wir eine große mediale Kampagne (Aktion "MeineWahl"), welche die Problematik bei einer verpflichtenden Ausschreibung darstellte. Einige Vereinsmitglieder standen den Medien durch die Darstellung ihrer Geschichte bereit. Wie bereits geschrieben, führte dies dazu, dass aus einem MUSS der Ausschreibung eine KANN Verordnung wurde.
Soweit.
Im Laufe der Jahre wurde die Möglichkeit der Ausschreibung bei den Inkontinenzhilfsmittel aber flächendeckend und kassenübergreifend der Standard der Hilfsmittelversorgung bei Kassenpatienten. Die bereits befürchteten Problematiken bei der Versorgung bewahrheiteten sich nun für viel mehr Betroffene. So wurden auch die Stimmen der Betroffenen lauter, sodass auch die Politik diese nicht mehr ignorieren konnte.
Wir haben uns als Verein für Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnis ausgesprochen und dieses massiv gefordert. Bei den Ausschreibungen galten neben dem billigsten Preis für den Zuschlag auch Qualitätsanforderungen an das Produkt, die aus dem Jahr 1993 stammten und unverändert waren.
Das Hilfsmittelverzeichnis wurde überarbeitet, Produkte, die dem heutigen Stand der Technik gerecht wurden, hinzugefügt, alte Produkte aus dem HV entfernt.
Im Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz– HHVG) 2017 wurden zudem die qualitativen Anforderungen nicht nur am Produkt, sondern auch im Bereich der Beratung und Dienstleistung erhöht.
Der Gesetzgeber hatte die Probleme also nicht mehr ignoriert und eine deutliche Anhebung der Versorgungsqualitäten beabsichtigt. Das größte Problem von politischen Entscheidungen ist aber, dass die Umsetzung nicht ausreichend kontrolliert wird. Zudem gibt es kein wirkliches Sanktionsrecht. Man überlässt den Beteiligten, die erst zu dem Dilemma in der Hilfsmittelversorgung beigetragen haben, weiterhin in Selbstverwaltung das Vertragsrecht und die Versorgung.
Genau dies führte dazu, dass der Gesetzgeber mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), im letzten Jahr, Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich (mit ganz wenigen Ausnahmen, die aber nicht die Inkontinenzversorgung betreffen) Ausschreibungen verboten hat.
Spätestens seit dem 30. November 2019 sind Ausschreibungen nicht mehr erlaubt. Kassenpatienten haben wieder freie Wahl ihres Leistungserbringers, sofern dieser den Verträgen beigetreten ist.
Nun könnte man denken, die Betroffenen hätten es nun endlich geschafft. Es greift aber leider erneut die Selbstverwaltung. Die Akteure die sich besonders „aggressiv“ im Preisdumping bei den Ausschreibungen zeigten, sind in vielen Fällen heute auch die Partner der Kassen bei den Vertragsverhandlungen. Nun kann sich zwar jeder Leistungserbringer diesen Verträgen anschließen, aber eben zu den Preisen, welche ausgehandelt wurden.
Man hätte davon ausgehen sollen, dass durch den freien Wettbewerb die Versorgungspauschalen steigen. Das Gegenteil ist der Fall! Durchschnittlich sinken die Pauschalen!
So liegt die Durchschnittserstattung (Monat Top 12 Krankenkassen nach Anzahl der Versicherten) bei 16,94 Euro, ist also im Vergleich zu der Zeit vor dem TSVG sogar gesunken (17,24 Euro) Absolute Ausreiser nach unten bilden hierbei die DAK mit 11,89 Euro und die KKH mit 9,20 Euro.
In den letzten drei Jahren, habe ich mich als Vorstand der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. persönlich in schon fast unzähligen Stunden für die Interessen und Probleme der Betroffenen engagiert. Es war das TOPTHEMA unseres Handelns. Dazu zählten persönliche Gespräche mit dem Gesetzgeber, der Politik, GKV, Kassen, Medien, Leistungserbringern, Herstellern, Selbsthilfeorganisationen und anderen Beteiligten und Entscheidern. Fast alle Gespräche sind auf höhere Ebene abgelaufen. Wir haben also als Verein nicht mit „Hänschen“, sondern mit „Hans“ gesprochen.
Ein Grund, warum sich überhaupt etwas bewegt hat. Die dargestellte Situation zeigt aber, dass dies immer noch nicht befriedigende Ergebnisse sind. Es geht also weiter.
Im Dezember 2019 haben wir erfolgsversprechende Gespräche geführt. Ein Zusammenschluss von Patientenorganisationen (darunter die ILCO und die Stoma Welt) wird sich diesem Thema weiterhin annehmen. Weitere Gespräche mit hochrangigen Vertretern sind für das erste Quartal 2020 geplant (es dauert alles seine Zeit, glaub es mir).
Es gibt auch völlig andere Denkmodelle und Ansätze. So steht die Forderung nach einem alternativen Erstattungssystems, wo vor allem die individuelle Situation Betroffener im Erstattungsbetrag Berücksichtigung finden, an oberster Stelle unserer Forderungen.
Wenn man immer so handeln könnte wie man wollte, wäre einiges einfacher. Dein Gedanke der Rundmail scheitert schon an der DGSVO. Dies ist aber ein anderes Thema.
Insgesamt möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass dieses Forum „nur“ ein Teil des Angebots der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. ist. Interessenvertretung findet zu 99% im realen Leben, also durch persönlichen Kontakt und Gespräche mit Personenkreisen statt, die daran etwas verändern können.
Vereinsarbeit benötigt neben finanziellen Mitteln vor allem engagierte Mitstreiter. Also Menschen die sich für eine gewisse Zeit (verbindlich und verlässlich) einbringen und engagieren. So könnten wir beispielsweise eine Arbeitsgruppe gründen, die sich diesem Thema in Priorität annimmt. Dies kann man nicht mit Forenmitgliedern umsetzen, die sich zwar vorbildlich im Erfahrungsaustausch einbringen, aber sich den Zielen der Inkontinenz Selbsthilfe e.V. nicht verpflichtet fühlen müssen.
Dies ist so wie bei der Feuerwehr. Alle finden es gut, wenn Brände gelöscht werden. Es muss aber auch ein paar geben, welche den Schlauch halten. Du bist herzlich eingeladen.
Am 29. August 2020 findet unsere Hauptversammlung in Berlin statt. In den letzten Jahren haben wir uns immer ein paar Tage zuvor bereits getroffen. Man stelle sich einmal vor, dort würden 200 Betroffene (Vereinsmitglieder) und mehr teilnehmen. Realität: Meist sitzen wir mit 10 Teilnehmern bei der JHV.
Gruß
Matti