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Multiple Sklerose: Ursachen für Inkontinenz und Entleerungsstörungen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark befällt. Sie führt zur Demyelinisierung, das bedeutet, die schützenden Myelinscheiden, die die Nervenfasern umgeben, werden durch Entzündungen geschädigt. Diese Zerstörung führt zu einer Unterbrechung der normalen Nervenimpulse und kann eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen, darunter Muskelschwäche, Koordinationsprobleme, Sehstörungen und kognitive Veränderungen.

Ein weniger bekanntes, aber keineswegs seltenes Symptom von MS ist die Blasen- und Darmfunktionsstörung, die sich in Inkontinenz und Schwierigkeiten beim Entleeren der Blase oder des Darms äußern kann. Im Folgenden geht der Artikel detailliert darauf ein, warum es bei Menschen mit Multiple Sklerose zu diesen Problemen kommt.

Anatomie und Physiologie der Blasen- und Darmkontrolle

Blase

  • Detrusormuskel: Er befindet sich in der Blasenwand und zieht sich zusammen, um die Blase zu entleeren.
  • Schließmuskeln: Kontrollieren den Urinfluss.
  • Nervensignale: Werden vom Hirn und Rückenmark gesendet und koordiniert, um den Harndrang wahrzunehmen und die Blase zu entleeren.

Darm

  • Kolon und Rektum: Diese Strukturen speichern Stuhl und vermitteln das Gefühl von Stuhldrang.
  • Schließmuskeln: Kontrollieren die Ausscheidung.
  • Nerven: Nervenimpulse regulieren das Timing und die Koordination der Muskelkontraktionen.

 

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Wie Multiple Sklerose diese Prozesse beeinflusst

MS führt zu Läsionen im zentralen Nervensystem, die eine Unterbrechung der normalen Nervenkommunikation verursachen können. Solche Läsionen können in verschiedenen Bereichen des Gehirns und des Rückenmarks auftreten, die für die Kontrolle von Blase und Darm verantwortlich sind.

Rückenmark

Läsionen im Rückenmark können Signale unterbrechen, die die Blasenkontrolle steuern. Besonders betroffen sind häufig die unteren thorakalen und lumbalen Segmente, die die willkürliche und unwillkürliche Kontrolle der Blase beeinflussen.

Hirnstamm und Hirnrinde

Läsionen in diesen Bereichen können die sensorische Wahrnehmung und die bewusste Kontrolle der Blase und Darmfunktion beeinträchtigen.

 

 

Symptomatische Folgen

Blasenfunktionsstörungen

  • Sensorische Dysfunktion: Betroffene haben Schwierigkeiten, den Harndrang zu spüren, was zu einer Überlaufinkontinenz führen kann.
  • Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie: Fehlkoordination zwischen Blasenmuskel und Schließmuskeln, was zu Restharn führt.
  • Überaktive Blase: Häufiger Harndrang und Dranginkontinenz aufgrund eines überaktiven Detrusormuskels.
  • Reflexinkontinenz: Unkontrollierte Blasenentleerung ohne Vorwarnung, oft bei bestimmten körperlichen Reizen.
  • Neurogene Blasenentleerungsstörung: Dabei gelingt es nicht mehr, die Blase vollständig oder überhaupt zu entleeren.

Darmfunktionsstörungen

  • Verzögerte Darmpassage: MS kann die peristaltischen Bewegungen des Darms beeinträchtigen, was zu Verstopfung führt.
  • Sensorische Störungen: Beeinträchtigte Wahrnehmung des Stuhldrangs, was zu Inkontinenz führen kann.

 

Psychosoziale Auswirkungen und Lebensqualität

Die Herausforderungen beim Managen von Blasen- und Darmfunktionsstörungen wirken sich stark auf die Lebensqualität aus. Dies kann zu Schamgefühl, sozialer Isolation und Depression führen. Betroffene haben möglicherweise Angst, das Haus zu verlassen oder öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, was ihre soziale Interaktion einschränkt.

 

Mögliche Folgen unbehandelter neurogener Blasenentleerungsstörungen

Wenn eine neurogene Blasenentleerungsstörung unbehandelt bleibt, kann das zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen:

  • Nierenstau: Wenn die Blase nicht richtig entleert wird, kann der Urin zurückfließen und die Nieren belasten, was letztlich zu Nierenschäden führen kann.
  • Chronische Harnwegsinfektionen: Restharn in der Blase bietet Bakterien einen idealen Nährboden, was zu häufigen und schwer behandelbaren Infektionen führen kann.
  • Blasensteinbildung: Der Restharn kann zur Bildung von Blasensteinen führen, die zusätzliche Schmerzen und Entzündungen verursachen können.
  • Harnverhalt: Ein extremer Harnverhalt kann zu einer Überdehnung der Blase führen und die Blasenwand schädigen.
  • Erhöhtes Risiko für Blasenkrebs: Langfristige Blasenentzündungen und irritierende Faktoren im Restharn können das Risiko für Blasenkrebs erhöhen.

 

Management und Behandlung

Medizinische Ansätze

  • Medikamente: Anticholinergika zur Reduzierung der Blasenüberaktivität, Alpha-Blocker zur Verbesserung der Blasenentleerung und Laxantien zur Linderung von Verstopfung.
  • Katheterisierung: Intermittierende Selbstkatheterisierung bei schwerwiegender Blasenentleerungsstörung.
  • Physiotherapie: Beckenbodenübungen können helfen, die Muskelkontrolle zu verbessern.

Lifestyle-Änderungen

  • Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Anpassung der Ernährung kann helfen, die Darmfunktion zu regulieren.
  • Toilettenplanung: Regelmäßige Toilettengänge können helfen, Inkontinenz vorzubeugen.

Psychosoziale Unterstützung

Eine umfassende Versorgung beinhaltet auch psychosoziale Unterstützung, einschließlich Beratung und Selbsthilfegruppen, um den emotionalen und psychologischen Belastungen entgegenzuwirken.

 

Diagnose

Damit die Blasenprobleme richtig behandelt werden können, sind gründliche Untersuchungen nötig:

  • Uroflowmetrie und Restharnmessung: Diese Untersuchungen messen, wie gut der Harnfluss ist und wie viel Urin nach dem Wasserlassen in der Blase bleibt.
  • Blasentagebücher: Hierbei notiert man Trinkmengen und Toilettengänge, um Muster zu erkennen.
  • Urodynamische Untersuchungen: Diese messen den Druck in der Blase und den Verschlussdruck der Harnröhre.
  • Bildgebende Verfahren: Diese sind unverzichtbar zur Diagnose und können strukturelle Probleme sowie Funktionsstörungen sichtbar machen:

MRT (Magnetresonanztomographie): Diese Methode bietet detaillierte Bilder der Gehirn- und Rückenmarksstruktur, um Nervenschäden und deren Auswirkungen auf die Blase zu identifizieren.

  • Ultraschall: Dieses Verfahren wird genutzt, um die Blase und Nieren sichtbar zu machen und eventuelle Restharnmengen oder strukturelle Anomalien festzustellen.

Behandlungsmöglichkeiten bei Inkontinenz durch Multiple Sklerose

Inkontinenz, eine häufige Begleiterscheinung der Multiplen Sklerose (MS), kann verschiedene Formen annehmen, etwa Blaseninkontinenz (Harninkontinenz) und Blasenentleerungsstörungen. Diese Funktionsstörungen können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, aber es gibt verschiedene Behandlungsansätze, die den Betroffenen helfen können, diese Probleme besser zu bewältigen. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen sowohl medizinische als auch nicht-medizinische Ansätze.

Medizinische Behandlungsansätze

  • Medikamente: Anticholinergika wie Oxybutynin oder Solifenacin zur Kontrolle der Symptome einer überaktiven Blase, Alpha-Blocker zur Erleichterung der Blasenentleerung, Desmopressin zur Reduzierung der nächtlichen Urinproduktion, und Laxantien bei Verstopfung.
  • Katheterisierung: Intermittierende Selbstkatheterisierung (ISK) oder dauerhafte Katheterisierung in schwerwiegenden Fällen.
  • Botox-Injektionen: Botulinumtoxin bei überaktiver Blase.

Nicht-medizinische Behandlungsansätze

  • Physiotherapie und Beckenbodentraining: Beckenbodenübungen und Biofeedback zur Verbesserung der Muskelkontrolle.
  • Blasentraining und Toilettenplanung: Regelmäßige Toilettengänge und geplante Flüssigkeitsaufnahme zur Regulierung der Blasenfunktion.
  • Ernährungsanpassungen: Flüssigkeitsmanagement und ballaststoffreiche Ernährung zur Verbesserung der Darmfunktion.
  • Verwendung von Hilfsmitteln: Inkontinenzeinlagen und Hilfsmittel wie Nachtstühle oder Urinflaschen.
  • Psychosoziale Unterstützung: Beratung und Selbsthilfegruppen.

Invasive Optionen

  • Sakrale Neuromodulation: Implantation eines Geräts zur Steuerung der Nervenimpulse.
  • Blasenaugmentation: Chirurgischer Eingriff zur Vergrößerung der Blase.

Behandlungsmöglichkeiten für Entleerungsstörungen im Darm durch Multiple Sklerose

Entleerungsstörungen im Darm, die durch Multiple Sklerose (MS) verursacht werden, können ebenso belastend sein wie Blasenentleerungsstörungen. Solche Störungen können sich in Form von Verstopfung (Obstipation), Durchfall, Inkontinenz oder einem unregelmäßigen Stuhlgang äußern. Auch hier ist eine individuelle Therapieplanung wichtig, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Hier sind einige spezifische Behandlungsmöglichkeiten:

1. Medikamentöse Therapie:

  • Abführmittel (Laxantien): Diese können bei Verstopfung helfen. Beispiele sind Füllstoffe wie Flohsamen, osmotische Laxantien wie Polyethylenglykol und stimulierende Laxantien wie Bisacodyl.
  • Antidiarrhoika: Bei Durchfall können Mittel wie Loperamid hilfreich sein.
  • Mittel zur Stuhlregulierung: Probiotika oder spezielle Ballaststoffpräparate können helfen, den Stuhlgang zu regulieren.

2. Ernährungsumstellung:

  • Ballaststoffreiche Ernährung: Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen ist (Obst, Gemüse, Vollkornprodukte), kann helfen, den Stuhlgang zu regulieren.
  • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Eine ausreichende Menge an Wasser kann helfen, den Stuhl weicher zu halten und Verstopfung zu vermeiden.
  • Vermeidung irritierender Lebensmittel: Manche Lebensmittel und Getränke, wie koffeinhaltige oder alkoholische Getränke, können Darmprobleme verschlimmern und sollten gemieden werden, wenn sie Symptome auslösen.

3. Verhaltens- und Physiotherapie:

  • Geplante Toilettengänge: Regelmäßige Toilettenbesuche zu festen Zeiten, insbesondere nach den Mahlzeiten, können helfen, den Darm zu trainieren.
  • Beckenbodentraining: Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur können auch hier hilfreich sein, besonders bei Inkontinenz.
  • Biofeedback: Diese Methode kann helfen, die Kontrolle über die Darmmuskulatur zu verbessern und die Entleerung zu koordinieren.

4. Rektale Reizung und manuelle Hilfe:

  • Digitale Stimulation: Das manuelle Reizen des Analkanals mit dem Finger kann bei manchen Menschen die Darmbewegungen auslösen.
  • Suppositorien und Einläufe: Diese können dabei helfen, den Stuhl weicher zu machen und die Entleerung zu erleichtern.

5. Hochfrequente Analsonde:

  • Neuromodulation: Besonders bei schwerer Verstopfung und Stuhlinkontinenz kann die sakrale Neuromodulation oder eine transkutane tibiale Nervenstimulation (TENS) hilfreich sein.

6. Operationen:

  • Künstlicher Darmausgang (Stoma): Dies ist in sehr schweren Fällen eine Option, bei der eine chirurgische Öffnung des Darms zur Hautoberfläche geschaffen wird, um den Stuhlgang zu erleichtern.

7. Psychologische Unterstützung und Beratung:

  • Coping-Strategien: Da Darmentleerungsstörungen stark belastend und schambehaftet sein können, kann psychologische Unterstützung helfen, mit dem Stress und den sozialen Auswirkungen der Erkrankung umzugehen.
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Patienten kann hilfreich sein, um Erfahrungen und Tipps zu teilen.

8. Rotation von Medikamenten:

  • Falls verschiedene Medikamente eingenommen werden, kann eine Anpassung oder Rotation dieser Medikamente notwendig sein, insbesondere wenn diese Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Durchfall verursachen.

9. Regelmäßige Bewegung:

  • Moderate körperliche Aktivität kann die Darmmotilität fördern und die Verdauung verbessern.

Die Wahl der Behandlung sollte stets in enger Zusammenarbeit mit einem ärztlichen Team aus Neurologen, Gastroenterologen und eventuell Physiotherapeuten getroffen werden. Eine umfassende Diagnostik, einschließlich einer speziellen Untersuchung der Darmfunktion, kann erforderlich sein, um eine Grundlage für die beste Behandlungsstrategie zu finden.

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